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Stern ohne Himmel

Stern ohne Himmel

Titel: Stern ohne Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Ossowski
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die geringste Lust, den Juden weiter zu verhören. Er hielt seine Handflächen aufwärts, als wolle er sagen: Macht, was ihr wollt, mir ist es egal.
    Zick war an der Reihe, den Juden zu fragen. Aber es wollte ihm nichts einfallen. Er kaute auf seiner Unterlippe und schielte zu Willi, der breitbeinig neben ihm saß.
    »Wenn du nichts weißt, Zick, kommt Willi dran«, sagte Antek.
    »Natürlich weiß ich was!« Zick starrte den Juden ratlos an, als könne der ihm die Frage von den Lippen lesen. Es würde nicht mehr lange dauern und er hätte wieder mal bewiesen, dass er doch nicht ernst genommen werden konnte. In ihm stieg der Zorn über Abiram hoch. Warum war der auch ausgerechnet in diesen Keller gekommen? Da wusste Zick plötzlich, was er den Juden fragen würde. Die Wichtigkeit des Augenblicks gab seiner Stimme Kraft. »Wenn du mit deiner Mutter in der Turnhalle warst, und sie ist dort erschossen worden, wieso bist du dann hier?«
    »Richtig«, platzte Willi in die Frage hinein, stieß Zick zur Seite und pflanzte sich vor Abiram auf. »Wenn du verhaftet worden bist, wieso befindest du dich jetzt in Freiheit?«
    »Weil ich leben will, genau wie du!«
    »Das ist vielleicht eine dämliche Antwort«, höhnte Willi.
    »Findest du?«, fragte Abiram.
    »Werd nicht frech!«, schrie Willi. Jetzt war er dran, und er würde den Freunden beweisen, dass es wichtigere Dinge gab als Mitleid.
    Zick war allein auf der Bank geblieben. Er fühlte sich überflüssig, und während Willi auf den Juden einredete, schob er sich davon. Abirams Antworten gingen ihm nicht aus dem Kopf. Nachdem man die Mutter totgeschossen hatte, war das doch wirklich keine dämliche Antwort. Zick überlegte, wie es sein musste, wenn die Mutter tot neben einem liegt und man ganz allein bleibt. Plötzlich fand er Willi gemein.
    Willi, der das Schweigen der Freunde als Zustimmung nahm, begann von neuem: »Du wurdest also mit deiner Mutter verhaftet und bist ausgebrochen.«
    Willi unterstrich jedes Wort mit einem Fausthieb auf das Bord. Gläser und Flaschen klirrten. Er kam auf Abiram zu.
    »Es ist damit bewiesen«, fuhr er fort und stellte sein Bein auf den Holzdeckel, »dass du dich durch deine Flucht aus der Haft …« Weiter kam Willi nicht. Der Deckel der Kiste, die Abiram nicht mehr richtig hatte verschließen können, hielt Willis Gewicht nicht stand und schlug zurück. Willi rutschte ab. Sein Fuß trat in die Uniformjacke. »Ja, was haben wir denn hier?«, rief er, zog die Jacke aus der Kiste und hob sie in das Licht der Kerzen.
    »Da habt ihr euren Beweis!«, triumphierte er mit überschlagender Stimme, »ein Spion ist dieser Jude, der euch mit seinen Ammenmärchen von dem vergasten Vater und der erschossenen Mutter weich machen wollte. Oder gehört sie einem von euch?«
    »Das ist nicht wahr, glaubt ihm nicht!«, schrie Abiram.
    Er packte Willi an der Schulter.
    »Rühr mich nicht an, du Schwein!«
    »Ihr seid verrückt, ich bin kein Spion. Die Jacke gehört mir nicht!«
    »So«, lachte Willi, »kannst du dann vielleicht meinen Freunden und mir sagen, wie diese Jacke hierher gekommen ist und wem sie gehört?«
    Abirams Blick hing flehend an Antek.
    »Ich kann es nicht sagen, aber glaubt mir doch. Ich bin kein Spion«, und er fügte leise hinzu: »Das Mädchen …«
    »Ach so, das Mädchen«, höhnte Willi weiter, »die fehlt dir wohl jetzt, was? Der könntest du vielleicht etwas vormachen. Die gehört ja auch zu der Bande der Verräter, aber bei meinen Freunden und mir hast du kein Glück!«
    Als Antek Abiram leise »das Mädchen« sagen hörte, wusste er sofort, dass Ruth hier gewesen sein musste. Er wusste zwar nicht, um was es ging, er wusste nur das eine: Der Jude war unschuldig.
    Antek riss Willi die Jacke aus der Hand. »Schluss mit deiner Schreierei! Wir haben sie uns lange genug angehört. Die Jacke ist kein Beweis. Er war ja die ganze Zeit hier eingeschlossen!«
    Antek stellte sich vor Abiram.
    »Du fällst Paule auf den Wecker, seitdem du dein Maul aufreißt und einen Unsinn à la Jähde absonderst«, sagte Paule gelangweilt zu Willi und trat hinter Abiram.
    »Jetzt begreif ich«, flüsterte Willi und wich Schritt für Schritt rückwärts.
    »Gar nichts begreifst du«, rief Antek ungeduldig.
    Da war Willi schon an der Tür. Ehe sich die Freunde besannen, hatte er aufgeschlossen, die Tür hinter sich zugeschlagen und den Schlüssel rumgedreht.
    »Verräter«, keuchte er von draußen, »ihr schmierigen, elenden Verräter alle zusammen!« Es war

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