Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sterne der Karibik: Roman (German Edition)

Sterne der Karibik: Roman (German Edition)

Titel: Sterne der Karibik: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrice Fabregas
Vom Netzwerk:
Mund«, knurrte Hermann. »Geh spielen. Mach irgendetwas.«
    Richard verzog die Lippen, so dass sie wie eine Mondsichel nach unten hingen. Seine kleinen Wieselaugen flitzten hin und her und füllten sich mit Wasser. Die Nasenflügel zitterten. Ein Bild des Jammers stand vor ihm. Ein kleiner Junge, unverstanden, ungeliebt. Ein Stiefkind im wahrsten Sinne des Wortes.
    Hermann aber sah in dem Kind seine Jugend in Deutschland wieder, sah Wilma in ihm. Die Vertrautheit der dunklen Wieselaugen und des trotzig verzogenen Mundes versetzten ihn in Angst und Schrecken. Er musste den Blick abwenden, um nicht selbst zu zittern. Richard sah aus wie sein fleischgewordenes schlechtes Gewissen. Sofort verspürte Hermann einen ekelhaften Geschmack im Mund. Ihm war, als würde er auf Kupfermünzen herumkauen. Sein altes Leben, das Leben seiner Jugend in Würzburg stand in Gestalt dieses Zwerges vor ihm und löste blankes Entsetzen in ihm aus. Er hörte wieder die gellende Stimme von Wilma, roch ihren Veilchenatem, spürte ihre kalten, feuchten Hände auf seinem Arm. Sie hatte so schrill sprechen können, dass sie damit Hermanns Gedanken aus dem Kopf vertrieben hatte, bis nichts mehr darin war als Wut auf Wilma, die sich nicht entladen durfte. Erbittert starrte Hermann auf den kleinen Jungen. »Geh fort!«, beschwor er ihn. »Geh irgendwohin, wo ich dich nicht sehen muss!«
    Aber das Kind stampfte mit dem Fuß auf. »Ich gehe nirgendwohin.« Sein Blick war herausfordernd, dumm und über alle Maßen frech. Hermann hätte zu gern in dieses anmaßende Kindergesicht geschlagen, aber er tat es nicht.
    »Ich weiß was, was du nicht weißt!«, fuhr der Knabe fort, kein bisschen eingeschüchtert.
    »Ist mir egal. Du sollst endlich fortgehen.«
    »Titine bekommt ein Kind.«
    »Was?« Hermann fuhr herum, betrachtete Richard, sah das höhnische Funkeln in dessen Augen, die ganze Selbstgerechtigkeit, die ein Junge in seinem Alter aufzubringen vermag, und er wusste, dass Richard die Wahrheit sprach.
    »Du willst, dass ich fortgehe. Aber jetzt musst du erst einmal Titine fortschicken. Am Ende wirst du noch froh sein, dass du mich hast«, erklärte das Kind. »Das Hausmädchen hat gesagt, dass ich dich einmal beerbe, wenn Mafalda und Titine keine Kinder bekommen. Schickst du sie jetzt gleich fort?«
    Aufbrausendes Entsetzen machte sich in Hermann breit, nahm ihm fast die Luft zum Atmen. Er musste an sich halten, um den Kleinen nicht zu packen und zu schütteln, alle Häme aus ihm herauszuschütteln, bis nichts mehr übrig war.
    »Woher weißt du das?«, fragte Hermann nur mühsam beherrscht.
    »Der Doktor war da. Dein Freund.« Der Kleine verzog das Gesicht zu einem Lächeln. »Siehst du, jetzt schickst du mich nicht mehr fort, denn jetzt hast du nur noch mich.«
    Hermann musste sich zügeln, um nicht nach dem Kind zu schlagen und zu treten wie nach einem tollwütigen Hofhund. Niemandem außer Wilma war es bisher gelungen, ihn so aus der Fassung zu bringen. Wenn er in Richards Augen blickte, schoss schiere Mordlust in ihm hoch. Zu gern würde er dem Jungen alles zurückzahlen, was ihm dessen Mutter jemals angetan hatte. Hermann schien sogar, als hätte er jahrelang sein wahres Ich verborgen, als wäre er in Wirklichkeit tatsächlich so böse und schlecht, so hinterhältig, feige und gemein, wie Wilma immer behauptet hatte.
    Er packte den Kleinen viel zu fest bei den Schultern, schüttelte ihn und stieß ihn zur Seite wie einen alten Sack. »Geh mir aus den Augen!«, sagte er noch einmal, und seine Stimme zitterte vor Wut.
    Dann begab er sich ins Herrenhaus, doch kurz vor der Tür hielt er inne, weil jemand seinen Namen in höchster Not rief.
    Ignazio, der Kutscher, kam aus Richtung Stadt gerannt. »Don, Sie müssen schnell kommen. Es gibt Ärger. Ein Sklave vom benachbarten Ingenio. Schnell, kommen Sie auf die Plaza Mayor.«
    Hermann warf dem Kind, das schon wieder mit verschränkten Armen, aber weitaus weniger selbstsicher neben dem Brunnen stand, einen vernichtenden Blick zu und hob den Zeigefinger. »Wage es ja nicht, über Titine zu reden. Hast du mich verstanden? Wage es nicht!«
    Richard schluckte verängstigt und nickte, dann wandte Hermann sich ab und verließ mit schnellen Schritten den Hof. Er eilte über das Kopfsteinpflaster, vorbei an den Herrenhäusern der anderen Zuckerbarone, vorbei an rumpelnden Eselskarren, die, mit Zuckersäcken beladen, zum Bahnhof strebten, vorbei an abgemagerten Hunden, vorbei an einer dicken Haussklavin, die

Weitere Kostenlose Bücher