Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
und Jugendliebe gestorben und hatte ihn mit drei Kindern allein gelassen. Thiago hatte lange gebraucht, ehe er sich eine Sklavin ins Haus geholt hatte. Seither aber waren seine Kinder in den besten Händen, und Thiago hatte sich überraschend von seiner Trauer erholt.
Ragine war nicht mehr jung. Im Gegenteil, sie war sogar schon zu alt, um auf den Zuckerfeldern gute Leistungen zu bringen. Zehn Tonnen geschnittenes Rohr verlangte Hermann täglich von jedem Sklaven, Ragine aber hatte es zum Schluss nicht einmal mehr auf sieben gebracht. Sie war so müde und erschöpft gewesen, dass Hermann schon daran gedacht hatte, ihr die Freiheit zu schenken, doch dann hatte Thiago sich ausgerechnet für sie entschieden, obwohl es weiß Gott jüngere und hübschere Sklavinnen in Hülle und Fülle hier gab. »Was nützt mir ein junges Weib, da ich doch selbst alt bin?«, hatte er kurz nach seinem vierzigsten Geburtstag verlauten lassen. »Die jungen Dinger haben ein anderes Tempo. Ich brauche eine Frau, die mit mir im selben Takt lebt.« Und so war es wohl auch. Ragine sah nach sechs Monaten in Thiagos Haus um zehn Jahre jünger aus, die Kinder lachten und machten einen glücklichen, unbeschwerten Eindruck, und Thiago wirkte beinahe so zufrieden wie damals, als seine Frau noch lebte.
»Der Familie geht es gut«, erklärte er. »Ich habe Ragine kürzlich Stoff gekauft für ein neues Kleid. Nun, sie hat zwei daraus geschneidert.« Er lachte und spuckte ein wenig Tabaksaft auf den Boden.
»Die Kinder gedeihen gut?«, fragte Hermann weiter, obwohl er sie jeden Tag sah und sich selbst von ihrer Entwicklung überzeugen konnte.
»Sie tun es, sie tun es. Evalita kann schon beinahe so gut kochen wie Ragine. Und Sergio hat so viel Kraft in den Armen, dass er vielleicht schon in ein, zwei Jahren zu mir in die Schmiede kommen kann.«
»Das freut mich«, erklärte Hermann. Dann schwiegen die beiden Männer wieder eine kleine Weile, ehe Hermann fragte: »Ist mit den Geräten alles in Ordnung? Brauchst du etwas? Soll ich in Havanna eine Bestellung für irgendetwas aufgeben?«
»Pah!« Thiago trat die Zigarre im Staub aus. »Hast du jemals erlebt, dass ich etwas aus Havanna bestellt habe? Nein, nein, mein Lieber, wir fertigen hier alles selbst. Da weiß ich, dass die Werkzeuge auch zu gebrauchen sind.«
»Bist du mit deinen Leuten zufrieden?«, wollte Hermann weiter wissen.
Thiago hob die rechte Hand und wiegte sie hin und her. »Der Schmied versteht sein Handwerk. Er kann dir Spitzen schmieden, die scharf wie Messer sind. Tödlich.«
»Aber?«
Thiago zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Es gibt nichts an ihm auszusetzen. Ist nur so ein Gefühl.«
Hermann nickte. »Er war nicht verschwitzt, als ich ihn eben am Amboss sah. Und auch die eine Weberin wirkte noch so frisch, als hätte sie gerade mit der Arbeit begonnen.«
»Das macht dir Sorgen?« Thiago lachte schallend. »Das braucht es nicht, das braucht es ganz und gar nicht. Die beiden haben eine Liebelei. In den Pausen verschwinden sie hinter dem Holzstapel. Und danach sind sie wieder so frisch wie zu Arbeitsbeginn.«
Hermann verzog den Mund. »Das kann ich mir vorstellen. Was uns noch mehr erschöpfen würde, baut die Jungen gerade auf. Aber sie waren beide nicht verschwitzt. Verstehst du? Was immer sie hinter dem Holzstapel getrieben haben, es hat sie körperlich nicht angestrengt.«
Thiago krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch. »Warum macht dir das Sorgen? Ist hier irgendetwas im Busch? Mir schien, als hätte ich vorhin sogar Schüsse gehört. Von dem benachbarten Ingenio.«
»Niemand weiß Genaues«, wiegelte Hermann ab. »Céspedes in Manzanillo soll alle seine Sklaven freigelassen und die Unabhängigkeit Kubas von Spanien proklamiert haben.«
»Dieser Freimaurer? Das wundert mich nicht. Diese Logenbrüder haben doch ewig den Eindruck, sie würden zu kurz kommen.«
»Er ist Freimaurer?«
»Wusstest du das nicht? Ich war auch mal in einer solchen Loge. In Cienfuegos. Sie wollten mich als Mitglied werben, aber ich habe abgelehnt.«
»Warum?«, fragte Hermann. »Ich gebe zu, ich weiß nicht viel über die Freimaurerei.«
»Die Freimaurerei, auch Königliche Kunst genannt, versteht sich als ein ethischer Bund freier Menschen mit der Überzeugung, dass die ständige Arbeit an sich selbst zu einem menschlicheren Verhalten führt. Die fünf Grundideale der Freimaurerei sind Freiheit , Gleichheit , Brüderlichkeit , Toleranz und Humanität , sie sollen durch die
Weitere Kostenlose Bücher