Sterne im Sand
achselzuckend zu, und die beiden Frauen bedienten sich nun wie Schulmädchen mit den Fingern.
»Soll ich dir etwas Tee eingießen?«
»Ja, bitte.«
Charlotte erblickte sich selbst in dem goldgerahmten Spiegel an der Wand und schüttelte unglücklich den Kopf. Ihr Gesicht verquollen, die Augen verweint, die Nase rot vom Schneuzen. Normalerweise hätte sie es nicht ertragen, daß eine attraktive Frau wie Fern sie in diesem Zustand sah, doch heute machte es ihr nichts aus. Ihr war ohnehin alles egal. Sie mußte sich eingestehen, daß sie doch froh war über Ferns Anwesenheit. Sie brauchte Gesellschaft, und die ihrer Schwägerin war um Längen interessanter als die der Witwen unten im Speisesaal. Dann fiel ihr ein, daß auch Fern verwitwet war. »Oh, Gott«, entfuhr es ihr.
»Was ist los?«
»Nichts.« Sie ließ sich in einen Sessel am Fenster plumpsen und sah zu, wie Fern ihr den Tee eingoß und herüberbrachte. »Austin hat auf dich immer größere Stücke gehalten als auf mich«, sagte sie plötzlich. »Hat er dich eigentlich geliebt?«
Fern reagierte geistesgegenwärtig. Sie spürte, daß dies nicht der richtige Zeitpunkt für Geständnisse war. »Guter Gott, Charlotte! Wie kommst du denn darauf?«
»Ich hielt es für offensichtlich.«
»Damit tust du Austin Unrecht. Er war nicht in mich verliebt, ich übrigens auch nicht in ihn. Schlag dir diesen Gedanken bitte aus dem Kopf. Er hat sich gern in meine Geschäfte eingemischt«, erklärte sie lächelnd, »wollte mir dauernd gute Ratschläge erteilen. Ich glaube nicht, daß er viel von Geschäftsfrauen hielt.«
»Das kannst du wohl annehmen«, erwiderte Charlotte wütend.
»Wieso? Warst du auch gegen meine Tätigkeit?«
»Die hat mich nicht weiter interessiert. Aber du hattest großes Glück«, fuhr sie grimmig fort. »Du hattest es nicht mit Söhnen zu tun, die dir dein Erbe vor der Nase wegschnappten. Dich praktisch auf die Straße setzten.«
Fern war verblüfft. »Meine Liebe, das kann ich nicht glauben. Das hätte Austin nie geduldet.«
»Ach nein? Er hat mich mittellos zurückgelassen.« Sie sah Fern mit Tränen in den Augen an. »Wie kann ich um einen Mann trauern, den ich so sehr geliebt habe, und ihn gleichzeitig hassen, weil er meine Rechte mit Füßen getreten hat?«
»Ich verstehe nicht ganz. Was ist denn geschehen?«
Während Charlotte in ihrem Bericht zwischen Selbstmitleid und berechtigtem Zorn schwankte, bemühte sich Fern, aus dem Debakel schlau zu werden, das sich allem Anschein nach auf Springfield ereignet hatte. Ihre Schwägerin wetterte gegen Victor und Rupe, gegen eine Regierung, die die Squatter ruinieren wolle, gegen Rechtsanwälte jeglicher Couleur, die nichts als überbezahlte Beamte ohne Respekt vor Frauen seien, sogar gegen Richter Walker, der versprochen habe, ihr zu helfen, letztendlich aber ein bloßer Windbeutel sei. Sie weinte, als sie Fern erzählte, wie sie Austin morgens tot in seinem Bett gefunden hatte, nachdem er allein, ohne jeden Beistand, gestorben war.
Fern ließ sie reden. Anscheinend hatte die arme Charlotte bisher keine Zeit für echte Trauer gefunden, da die Ereignisse sich überschlagen hatten – Austins unvorhergesehener Tod, dann die ebenso unerwartete Auseinandersetzung mit ihren Söhnen, gefolgt von der überstürzten Abreise, dem Umzug nach Brisbane und den juristischen Schwierigkeiten. Durch den Verlust ihres Mannes war ihre ganze Welt auseinandergefallen, was bei Charlotte anscheinend zu einem Zustand völliger Verwirrung geführt hatte.
Fern schlüpfte auf den Flur hinaus und trieb ein Mädchen auf, bei dem sie Kaffee für zwei Personen und Brandy zu medizinischen Zwecken bestellte.
»Aber Madam, dies ist ein privates Hotel ohne Schankgenehmigung«, entgegnete das Mädchen.
Fern lächelte. »Das ist mir bewußt, aber ich bin sicher, daß die Hausdame Mrs. Brodericks Wunsch nachkommen wird.«
Sie brauchte den Brandy ebensosehr wie Charlotte. Eine so leidvolle Geschichte hatte sie nicht erwartet. Einige Dinge, die man ihr berichtet hatte, ergaben durchaus einen Sinn, und sie war entsetzt darüber, daß Victor und Rupe ihre Mutter so aus der Fassung gebracht hatten. Harry war seltsamerweise nicht erwähnt worden, und Fern traute sich nicht, Charlotte nach ihm zu fragen, da sie eine weitere Flut von Beschuldigungen fürchtete. Sie war schon immer eine schwierige Person gewesen – äußerst empfindlich und schnell beleidigt.
Beim Gedanken an Charlottes Frage nach ihrem Verhältnis zu Austin
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