Sterne im Sand
und nur wahre Anhänger des Heiligen Wortes werden Seiner Gnade teilhaftig.«
»Welche wahren Anhänger?«
»Die Menschen, die wir Missionare segnen und taufen, meine Dame.«
»Und wohin hat Ihre Mission Sie geführt, Reverend?«
»Über die Tasman-See in Ihr schönes Land.«
Louisa sah, wie sich Charlottes Augenbrauen mißbilligend hoben. Sie mochte ihre Gäste nicht, schätzte Louisas Genörgel aber ebensowenig.
Zur Hölle damit, dachte diese, deren Wagemut durch die Abwesenheit ihres Mannes gestärkt wurde. Er schalt sie gelegentlich, sie rede zuviel.
Anfangs hatte er sogar recht damit gehabt. Niemand wußte besser als sie selbst, daß sie bei ihrer Ankunft auf Springfield tatsächlich zuviel geredet hatte. Geplappert. Geschwätzt. Vor allem bei Tisch, wenn der Wein ihr die Zunge löste. Doch das war reine Nervosität gewesen. Allmählich und mit Mühe war es ihr gelungen, sich zu beruhigen, doch geschwiegen hatte sie nie. Louisa hegte ihre eigenen Vorstellungen und fühlte sich berechtigt, sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit auch zu äußern, Austins finsteren Blicken und Victors Nasezucken zum Trotz.
»Was geschieht mit den Menschen, die Ihres Segens nicht teilhaftig werden?« fragte sie unvermittelt. »Ich meine, mit dem Rest der Welt? Bleiben ihnen die Tore des Himmels für immer verschlossen?«
Der Reverend wischte mit einer Brotkruste Soße vom Teller auf und lächelte sie an.
»Ha! Gute Frage. Deshalb arbeiten wir ja so hart. Wir möchten alle Seelen zum Herrn geleiten.«
»Und wie steht es mit mir? Bin ich verloren, nur weil ich Anglikanerin bin?«
Nun schritt Charlotte ein. »Wirklich, Louisa, dies ist wohl kaum der Ort für derartige Haarspaltereien. Denk daran, ›im Haus meines Vaters sind viele Zimmer‹.«
Louisa sah, wie das Lächeln des Reverend dahinschwand, und fragte sich, ob Charlotte sein Credo bewußt in den Grundfesten erschüttert hatte. Bei ihr konnte man sich nie sicher sein.
Sie nutzte die Gelegenheit zu weiteren Sticheleien. »Nun, dann sagen Sie mir eines: Werden die schwarzen Kinder Ihren Glauben angenommen haben, wenn sie zurückkehren, Reverend? Oder werden sie sich, wie Charlotte es ausdrückt, der vielen Zimmer bewußt sein?« Sie verzichtete auf den Nachsatz: »und weniger bigott werden als Sie.«
Mrs. Billings schreckte aus ihrer Lethargie hoch und wollte etwas sagen, doch ihr Mann kam ihr zuvor. »Es ist unsere Pflicht, die schwarzen Kinder aus ihrem heidnischen Dasein zu befreien und ins Licht der Christenheit zu führen. Anscheinend bemüht sich auf diesen Farmen niemand darum. Sie werden ihnen diese von Gott geschenkte Gelegenheit doch nicht mißgönnen wollen, Mrs. Broderick?«
»Sicher nicht«, warf Charlotte rasch ein. »Louisa, du findest das Programm doch auch hervorragend. Ich dachte, wir trinken den Kaffee heute abend draußen auf der Veranda, dort ist es kühler.« Sie wandte sich an die Gäste. »Sie schließen sich uns doch an, nicht wahr?«
Billings nahm das abgegriffene Gebetbuch, das er stets bei sich trug, und warf einen unsicheren Blick auf die dunkle Veranda.
»Ich glaube nicht. Wir ziehen uns zurück.«
Als er das Dankgebet anstimmte, prustete Louisa beinahe los vor Lachen. Wenn sich die Männer bisher zu Portwein und Zigarren in Austins Höhle zurückgezogen hatten, hatte der Reverend als Antialkoholiker und Nichtraucher den Damen im Salon Gesellschaft geleistet. Er hatte ihnen so lange aus dem Gebetbuch vorgelesen, bis sie unerträglich gelangweilt die Flucht ergriffen. Doch auf der Veranda gab es keine Lampen, da sie Horden von Insekten angezogen hätten. Lesen kam also nicht in Frage. Ob Charlotte das wohl bei ihrem Vorschlag bedacht hatte?
Amy war verwirrt. Toms Stimmung hatte sich weiter verschlechtert, nachdem sie auf den exzellenten Kaffee und die kleinen Plätzchen verzichtet hatten, die Mrs. Broderick nach dem Essen zu servieren pflegte, und sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatten.
»Gottloser Haufen!« knurrte er. »Das hat diese Frau doch mit Absicht getan.«
»Was denn?«
»Uns nach draußen gebeten, wo ich nicht die Kapitel lesen kann, die ich für den heutigen Abend ausgesucht habe.«
»Warum nicht?«
»Weil es auf der Veranda kein Licht gibt, du dummes Weib. Doch das wird ihnen noch leid tun, denn mein ist die Rache, spricht der Herr. Denk an meine Worte. Nun knie nieder und bereue deine Sünden. Ich habe deine Untaten von heute nachmittag nicht vergessen.«
Gehorsam kniete Amy sich mit dem Gesicht zur
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