Sterne über Cornwall: Roman (German Edition)
Leider hast du dort nur ein Jahr, bis du wieder wechseln musst. Die andere ist in Helston.«
Hannah schaute Maddie an. »Wieso soll ich mir eine Schule bloß für ein Jahr ansehen? Gehen wir dann nach London zurück?«
»Nein, aber es ist die kleinere von beiden, und ich denke, dass es dir dort leichterfallen könnte, dich einzugewöhnen.«
Hannah verdrehte die Augen.
»Ich weiß, dass es nicht das ist, was du wolltest, aber wir haben keine andere Wahl.« Sie konnten sich glücklich schätzen, eine Alternative zu haben, weil es schwierig war, überhaupt einen Platz zu bekommen. Während Maddie in den Rückspiegel blickte, fragte sie sich, ob sie sich je daran gewöhnen würde, auf diesen Straßen zu fahren.
»Wir hätten in London bleiben können.«
»Nein.«
»Warum nicht?«, hakte Hannah nach.
»Das habe ich dir doch schon erklärt. Wir waren fast pleite.«
»Du hast Geld.«
»Nein. Falls dir das noch nicht aufgefallen sein sollte: Ich habe im letzten Lebensjahr deines Vaters nicht gearbeitet.«
»Deine Eltern haben dir doch jede Menge Kohle hinterlassen.«
Maddie runzelte die Stirn. »Es war nicht jede Menge, und außerdem ist das Geld weg. Ich habe alles ausgegeben.« Bei dem Gedanken daran, wie viel es gewesen war, schluckte sie.
»Gib ruhig Dad die Schuld. Der kann sich ja nicht mehr wehren.« Hannah presste die Lippen zusammen.
»Ich gebe ihm nicht die Schuld. Wir haben Entscheidungen getroffen. Ich habe ihn gepflegt und nicht gearbeitet. Und wenn ich nicht arbeite, kommt kein Geld rein. So einfach ist das.«
»Also gibst du ihm doch die Schuld.«
Maddie fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Nein, ich wollte es so. Scheiße, jetzt hab ich die Abzweigung verpasst. Es ist keine gute Idee, das während der Fahrt zu diskutieren.«
»Ist es bei dir nie. Du findest immer eine Ausrede.« Wieder starrte Hannah zum Fenster hinaus.
Die Schulbroschüren lagen vor ihr auf dem Tisch. Hannah wollte sich jetzt nicht damit beschäftigen. Bald würde das Schuljahr beginnen, und sie musste eine Entscheidung treffen, aber es war August. Sommer. Und da waren keine Gedanken an die Schule erlaubt.
In dem Eimer vor ihr schwappte das schmutzigste Wasser, das sie je gesehen hatte. Bei dem Gedanken, dass sie in diesem Dreck gehaust hatte, bekam sie eine Gänsehaut. Trotzdem hatte sie gut geschlafen, seit Dads Tod war es ihre beste Nacht gewesen. Wahrscheinlich hatte der Gestank der Kuhscheiße sie umgehauen. Heute roch sie sie gar nicht mehr. Bedeutete das, dass sie aufgehört hatten zu scheißen oder dass sie sich schon daran gewöhnt hatte?
Endlich sah das Zimmer sauber aus. Jetzt waren noch die Wände zu streichen. Hoffentlich reichte die Farbe, denn sonst musste sie wieder mit Maddie fahren, die das Lenkrad umklammerte, als würde ihr Leben davon abhängen. Echt, sie war die Pest. In der Schule hatte sie die coole Künstlerin gespielt, die in Londoner Galerien ausstellte. Dabei war ihre letzte Ausstellung drei Jahre her.
Kurz vor Dads Krankheit. Maddie war nicht so oft da gewesen, weil sie die ganze Zeit malte. Damals war das Leben gut gewesen. Dad hatte zu Hause gearbeitet und Maddie in ihrem Atelier.
Hannah sank aufs Bett. Die großen Rosen auf den Tapeten verschwammen zu Farbflecken. Hannah wischte die Tränen mit den Fäusten weg. Dad war tot. Ende der Geschichte. Und sie musste mit ihrer bösen Stiefmutter in der Wildnis von Cornwall leben. Was hatte er nur an dieser Frau gefunden? Dad hatte sich auf den ersten Blick in sie verliebt, sie bei Recherchen für einen Artikel über Londoner Galerien kennengelernt, als er sie zu ihren Gemälden interviewte. Das war der Anfang vom Ende gewesen, aber immerhin hatte er glücklich gewirkt, zum ersten Mal seit Langem. Als Mum ihn verlassen hatte, war für ihn die Tür zum Leben zugefallen. Maddie hatte sie wieder aufgemacht. Das hätte Hannah schon gereicht. Danach hätte sie ihrer Ansicht nach verschwinden können.
Die Koffer standen unausgepackt in einer Ecke des Raums. Hannah holte mit zitternden Fingern das Foto von Dad aus ihrem Rucksack, das sie bei einem Ausflug nach Brighton gemacht hatte. Darauf hielt er breit grinsend ein Eis in der Hand, nicht das seine, sondern das ihre.
Ein paar Minuten nachdem sie auf den Auslöser gedrückt hatte, war das Eis heruntergefallen. Wie sie gelacht hatten! Und danach hatte er ihr ein neues gekauft. Mit ihm hatte so etwas Spaß gemacht. Er hatte alles gerichtet, auch wenn die Welt nicht in Ordnung war.
Sie steckte das
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