Sterne über Cornwall: Roman (German Edition)
Mutter? Nach fast dreizehn Jahren war Hannah immer noch wütend darüber, dass ihre Mutter ihr und Dad das angetan hatte. Er hatte kaum darüber gesprochen, bloß gesagt, dass sie gegangen war. Hannah interessierte, warum, aber sie würde es nie erfahren. Gab es eine Möglichkeit, die Frau aufzuspüren? Wollte sie sie überhaupt finden?
»Hannah, ich rede nicht gern mit der Tür.«
»Dann hau ab.« Hannah hörte Maddie seufzen. Jetzt hatte sie Maddie am Hals. Da wäre eine Pflegefamilie noch besser gewesen.
»Hannah, ich bin für dich da, wenn du mich brauchst.«
Hannah entschied sich für Schweigen. Sie brauchte Maddie nicht, hatte sie nie gebraucht.
4
H annah begutachtete das Holz der Schatulle. Das Herausziehen des Hammers hatte mehr Schaden angerichtet als das Eindringen. An einer Ecke war sie durch eine tiefe Kerbe verunstaltet. Die Mitte des oberen Teils war mit Schnitzereien verziert, der Rest glatt. Als sie ihn anhob, um ihn genauer zu betrachten, stieg ihr ein leichter Geruch nach Bienenwachs in die Nase. Die Maserung des Holzes, Hannah hielt es für Eiche, war zum größten Teil gerade und fein. Auf dem Boden und an den Seiten entdeckte sie mehrere alte Wurmlöcher, oben waren nur wenige.
Sie kaute auf ihrer Unterlippe. Beim Ausräumen des Schranks war ihr die Schatulle nicht aufgefallen. Die Farbe des Holzes hatte sich in das dunkle Innere gefügt, und die Schatulle war zwischen zwei Stützstreben eingeklemmt gewesen, die das Ungetüm stabilisierten. Jetzt standen Holzsplitter heraus. Zum Glück war dem Inhalt nichts passiert. Hannah wusste nicht, wie das Kästchen sich reparieren ließ, nur, dass sie das wollte.
Sie ging die Sachen darin, hauptsächlich alte Papiere, durch. Hannah konnte die Schrift nicht richtig lesen, aber eines der Blätter schien eine Liste zu sein. Dazu kamen eine Tasse und eine Untertasse mit einem Wappen sowie ein vergammeltes altes Heft. Die arme Schatulle war zu nichts mehr zu gebrauchen. Hannah ließ die Finger über das gesplitterte Holz gleiten.
Im Moment konnte sie nichts tun, weil sie zu einer Party eingeladen war. Sie nahm ihr Kapuzenshirt, ging nach unten und traf dort Fred, der gerade hereinkam. »Was machst du denn hier?«
»Was für eine freundliche Begrüßung.« Er hielt lächelnd eine Tüte hoch. »Ich muss in die Arbeit und soll von meiner Mum was für Maddie abgeben.«
»Fährst du zum Pub?«, fragte Hannah.
Er nickte.
»Ist das in der Nähe von Padga-Irgendwas?«
»Padgagarrack. So nahe dran, wie du mit dem Wagen hinkommen kannst.«
»Nimmst du mich mit?«
»Willst du zu dem Grillfest?«
Hannah nickte.
»Du hast neulich Abend Emma, Matts Freundin, kennengelernt. Die kommt auch.«
»Aha.«
»Gar nicht so leicht, wenn man neu ist, was?«
Hannah folgte ihm zum Wagen. Für einen Kerl war Fred ziemlich sensibel. Während der Fahrt redete er nicht viel, was sie nicht störte, weil ihr schlecht war. Aus dem Fenster zu schauen half nicht. Nach einer Weile hielt Fred an.
»Danke fürs Mitnehmen.« Hannah stieg aus.
»Sag einen schönen Gruß von mir.«
»Wird gemacht.« Hannah zögerte kurz, bevor sie die Wagentür schloss. »Die Straße runter und dann den Weg lang? Zu Fuß ungefähr zehn Minuten?«
»Ja. Halt dich rechts und folge dem Küstenpfad. Wenn du Lärm hörst, weißt du, dass du am richtigen Strand bist.«
»Danke.«
Hannah betrachtete die Straße vor ihr. Warum machte sie das eigentlich? Maddie wollte, dass sie Leute kennenlernte – ein guter Grund, nicht zu gehen. Aber sie musste tatsächlich Anschluss finden, weil sie sich sonst nur mit Maddie unterhalten konnte, und das wollte sie nun überhaupt nicht.
Hannah hätte sich gewünscht, dass wenigstens einer von Tamsins Jungs dort gewesen wäre, doch Fred musste arbeiten, Matt half seinem Dad, und Will war in der Schule in Devon. Also besuchte sie ein Grillfest mit Leuten, die sie kaum kannte. Es war Samstag, und sie konnte sich entweder in ihrem Zimmer langweilen oder hingehen. Da schien ihr das Fest noch die bessere Alternative zu sein.
Für Ende September war es warm. Hannah zog ihr Kapuzenshirt aus und band es um die Taille. In ihrem Rucksack steckte die Flasche Wein, die sie aus Maddies jämmerlichem Vorrat gemopst hatte. Sie musste etwas mitbringen und hatte nicht so recht gewusst, was. Die Einladung war eher vage formuliert gewesen.
Als die Straße nach links abbog, wählte Hannah den Weg nach rechts. Zwischen den Ästen der Bäume sah sie den Fluss, auf dem sich ein
Weitere Kostenlose Bücher