Sterne über Cornwall: Roman (German Edition)
einsames Segelboot in Richtung Bucht bewegte. Die Gegend wirkte seltsam verlassen. Jede Woche hatte sich die Anzahl der Boote auf dem Fluss trotz des guten Wetters reduziert. Heute fiel Hannah auf, dass es sich eigentlich nicht um einen Fluss, sondern um ein überflutetes Tal, ein ria , handelte.
Hinter einem Haus folgte sie einem Fußweg, der zwischen Bäumen hindurch hoch über dem Wasser verlief. Sie musste aufpassen, dass sie nicht über Wurzeln stolperte. Hannah sah auf ihre Uhr. Nun latschte sie schon eine geschlagene Viertelstunde vor sich hin, und es war nach wie vor kein Strand in Sicht. Links von ihr befanden sich unter dem Pfad kleine Buchten, jedoch nichts, was einem Strand ähnelte. Zwischen den Felsen entdeckte sie einen hübschen kleinen Streifen Sand, ihrer Meinung nach wiederum kein Strand.
Weitere fünf Minuten, und noch immer keine Spur von Menschen, geschweige denn von einer Party. Hatten sie sie auf den Arm genommen und zu etwas eingeladen, das gar nicht stattfand? Hieß das Spiel Stadtmädchen-Foppen? Hatten sie sich einen anderen Ort ausgesucht und vergessen, es ihr zu sagen? Sollte sie umkehren? Eigentlich wollte sie gar nicht mit Leuten feiern, die sie nicht kannte. Sie schaute noch einmal auf ihre Uhr. Fünfundzwanzig Minuten gegangen und nichts als Bäume und der Fluss. Vielleicht hatte sie den falschen Weg gewählt.
Da hörte sie Rufe, und in der Ferne entdeckte sie eine kleine Bucht, zu der der Pfad sich nach unten und über einen Bach schlängelte.
»Hey, Hannah, du hast uns gefunden.« Emma kam ihr entgegen.
»Ja, hat ’ ne Weile gedauert.«
»Wirklich?« Emma runzelte die Stirn. »Von der Straße sind’s doch bloß zwanzig Minuten.«
»Ich hab eine halbe Stunde gebraucht, und Fred hat behauptet, es wären zehn Minuten.«
»Für ihn mit seinen langen Beinen.« Emma schmunzelte. »Komm, ich stell dir ein paar Leute vor.«
Hannah rümpfte die Nase.
»Keine Angst, sie beißen nicht.« Emma legte eine Hand auf Hannahs Arm. »Jedenfalls die meisten.«
Es herrschte Ebbe; die Felsen, die in den Fluss hineinragten, waren deutlich zu erkennen. Auf dem abschüssigen Strand war eine seltsame Version von Kricket im Gang.
»Ich gehe Muscheln sammeln. Kommst du mit?« Emma nahm einen Eimer und ein Messer.
»Nein, danke.«
»Schau doch mal, ob du ihnen beim Feuermachen helfen kannst.« Emma entfernte sich, und Hannah drehte sich zu einer Gruppe von Jungen um, die mit Streichhölzern hantierten. Wenn sie so weitermachten, stand bald der ganze Strand in Flammen. Sie brauchten ihre Hilfe nicht.
»Hey, Hannah?«, rief ihr ein Typ zu.
Sie drehte sich um.
Er lächelte. »Holst du uns aus dem Wald Anmachholz?«
Hannah zuckte mit den Achseln. »Klar.«
»Prima.« Er wandte sich wieder den Streichhölzern zu.
Hannah überquerte den Bach und ging den Fußweg hinauf. Dabei hob sie kleine Zweige vom Boden auf. Unterwegs zog sie ihr Handy heraus, um Abi eine SMS zu schicken, die wahrscheinlich in der Oxford Street shoppen oder bei einer Freundin war.
Ist scheiße hier. Muss Zweige sammeln, damit die Einheimischen die Welt in Brand setzen können. X
Die SMS würde erst gesendet werden, wenn sie den nächsten Hügel erreichte. Scheißgegend. Sie sammelte Zweige, bis ihre Arme voll waren.
Als sie das Anmachholz an den Strand brachte, hatten sich mehr Leute versammelt. Jemand gab ihr ein Bier. Ein paar Gesichter kannte sie aus der Schule, aber die meisten sagten ihr nichts. Sie leerte die Bierdose und zerdrückte sie. Von Emma keine Spur.
Ihre Augen brannten. Gern hätte sie das dem Rauch zugeschrieben, doch sie konnte sich nichts vormachen. Der Geruch der im Feuer knisternden Äste erinnerte sie an ihren Vater. Würde er ihr irgendwann nicht mehr fehlen? Blöde Frage. Hatte sie je aufgehört, sich nach ihrer Mum zu sehnen, obwohl sie sich nicht einmal an sie erinnerte? Sie schloss die Augen, versuchte, ein Bild ihrer Mutter abzurufen, sah aber nur den Zorn ihres Vaters.
Herrgott, Dad, was hast du mir hinterlassen? Wut und Maddie.
Hannah entfernte sich von der Gruppe. Sie war einfach zu anders. Der feuchte Sand unter ihren Füßen war mit kleinen Kieseln und Algen bedeckt, so kompakt, dass ihre Füße kaum Abdrücke darauf hinterließen. Emma winkte ihr von den Felsen aus zu und signalisierte ihr, dass sie zu ihr kommen solle, doch Hannah hatte keine Lust, sich ihr Essen selbst zu suchen. Sie war ein Stadtmädchen.
Hannah ließ den Blick über den Fluss schweifen. Hübsch, aber nichts
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