Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
Sansibar angeliefert worden war. Lebend. Die zwei Wochen bis zu dem großen Abend wurde sie in der mit Wasser gefüllten Badewanne gehalten, aus der die Dienstmädchen das zentnerschwere Tier jedes Mal mit vereinten Kräften herausheben und in einen Zuber umquartieren mussten, wenn Heinrich oder Emily ein Bad nehmen wollten. Oft kniete Emily vor der Wanne und leistete der Schildkröte Gesellschaft.
»Da sitzen wir nun«, flüsterte sie. »Tausende von Meilen von unserer Heimat entfernt. Manchmal glaube ich, ich werde genauso wenig zurückkehren wie du.«
Die Schildkröte blinzelte.
»Du verstehst mich, nicht wahr? Du weißt auch, wie es ist, entwurzelt zu sein und fern der Heimat.«
Der schuppige Hals der Schildkröte schob sich einen Zollweit vor, zog sich dann wieder ein Stückchen in den braunweiß gefleckten Panzer zurück.
»Du hast ja recht – es nützt nichts, zu hadern. Die Dinge sind so, wie sie nun einmal sind.«
Ausdruckslos erwiderte das Reptil Emilys schimmernden Blick.
»Ich bin froh, dass du da bist. Mit dir im Haus fühle ich mich ein bisschen weniger einsam.«
Eigens für den festlichen Anlass wurde eine Wanderköchin eingestellt, berühmt für ihre Schildkrötensuppe, die gerade nach englischem Vorbild à la mode war. Die Hände in den Schoß zu legen entsprach Emily nicht. Sie packte in der Küche beim Gemüseputzen mit an, beim Polieren von Gläsern und Tellern und beim Tischdecken an der Seite der beiden Lohndiener. Und da einige der zu erwartenden Gäste den Orient bereist hatten, bereitete Emily ein Curry zu, das die Wanderköchin beim Kosten nach Luft schnappen und nach einem Glas Wasser rufen ließ.
Die Gäste jedoch lobten Curry, Schildkrötensuppe – die Emily nicht anrührte; sie zog die ebenfalls servierte Bouillon vor – und überhaupt die tüchtige Hausfrau , die Heinrich Ruete mit nach Hamburg gebracht hatte. Der Abend war gelungen, und Emily benötigte drei Tage, um sich von der Anspannung und der Aufregung zu erholen.
Die späten Stunden glichen einem Strudel wilden, unbekannten Lebens, der Emily mit sich riss, ob sie wollte oder nicht, und der sie in der tiefen Nacht oft erschöpft und überreizt wieder ausspie.
Ihre Tage jedoch waren öd und leer.
Zwischen neun und halb zehn verließ Heinrich das Haus, um mit einem der Dampfschiffe, die auf der Außenalster verkehrten, in die Stadt hineinzufahren, von wo er erst am spätenNachmittag wieder zurückkehrte. Lange, viel zu lange Stunden, in denen Emily sich selbst überlassen blieb. In einem Haus voller Dienstboten, deren Sprache sie ebenso wenig sprach wie diese die ihre. Wünsche und Fragen mussten warten, bis der Hausherr wieder anwesend war und als Übersetzer dienen konnte. Solange Mrs Evans, die für Emily eine aufgeräumt auf Hindustani und Englisch plaudernde Gesellschaft darstellte, noch in Hamburg weilte, war es erträglich. Doch ihr in Aden aufgesetzter Vertrag war allzu bald ausgelaufen, und die Engländerin war weder durch Bitten noch mit einem großzügigen Angebot dazu zu bewegen hierzubleiben. Die Sehnsucht nach ihrem Ehemann, der in Aden stationiert war, erwies sich als übermächtig – etwas, das Emily, die neun Monate auf Heinrich hatte warten müssen, nur zu gut verstand. Mit Mrs Evans’ Abreise verlor Emily nicht nur eine Freundin; sie verstummte für die Zeit vom Morgen bis zum Nachmittag.
Anstatt aus der Stille Balsam für Leib und Seele zu schöpfen, darin Erholung zu finden, bemächtigte sich Emilys eine gereizte Unrast. Ruhelos wanderte sie im Haus mit den vielen Zimmern umher, die ihr klein und niedrig vorkamen. Zumal sie bis zum Bersten vollgestellt waren mit massigen Kanapees und Sesseln, Tischen und Stühlen, Schränken, Kommoden und Konsolen, sodass Emily sich ständig einen Ellenbogen stieß, mit der Hüfte gegen eine Ecke prallte oder mit ihren ausladenden Röcken irgendwo hängen blieb. Erstickend war es im Inneren des Hauses, vor allem an regnerischen Tagen, wenn die Fenster geschlossen blieben und die dicken Ripsgardinen die Atemluft zu verzehren schienen. An solchen Tagen litt Emily unter Kopfschmerzen, und sie hatte das Gefühl, als läge eine Schlinge um ihren Hals, die sich langsam zuzog.
Die deutsche Sitte, alle Türen im Haus ständig geschlossen zu halten, verstärkte noch Emilys Empfindung bedrückender Enge. Jedes Mal, wenn sie durch eine der Türen hindurchgingauf ihren ziellosen Wanderungen durch die Zimmer, Flure und Stockwerke, ließ sie diese offen stehen – um sie
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