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Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Titel: Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Tony und Said auf ihren Füßchen hinter ihr hertrappeln konnten, lauthals »Papa! Papa!« kieksend.
    Sie fiel ihm um den Hals, kaum dass er richtig aus dem Wagen geklettert war.
    »Lass mich nie wieder so lang allein«, schluchzte sie.
    »Das verspreche ich dir, Bibi«, erwiderte er lachend. »Das verspreche ich dir.«
47
    Es versprach ein glücklicher Sommer zu werden in diesem Jahr. Heinrich war aus England zurück und hatte seine Pläne aufgegeben, nach Valparaíso auszuwandern, Emily zuliebe wie auch aus geschäftlichen Erwägungen. Und die berechtigte Hoffnung, es möge bald ein Wiedersehen mit Sansibar geben, verlieh dem Juni und dem Juli besonders leuchtende Farben.
    Diese Hoffnung wurde allzu bald von den dunklen Wolken verdüstert, die über Deutschland heraufzogen: Die Schatten des Krieges begannen sich über den Sommer zu legen.
    Schon lange hatte es Spannungen zwischen den Königreichen Frankreich und Preußen gegeben, und schließlich gipfelten sie in einem Streit um den Nachfolger der zwei Jahre zuvor in einer Revolution entmachteten spanischen Königin. Als Kandidat für die Königswahl stellte sich ein Prinz aus einer Nebenlinie der Fürsten von Hohenzollern zur Verfügung. Frankreich fürchtete, durch eine Wahl Prinz Leopolds zum spanischen König sowohl im Westen als auch durch den Norddeutschen Bund, in dem Preußen den Ton angab, im Osten in die Zange genommen zu werden, und äußerte lautstarken Protest. Obwohl Prinz Leopolds Vater und der preußische König Wilhelm I. die Kandidatur auf ausländischen Druck hin zurückzogen, entzündete sich an der Veröffentlichung derDepesche eines Beraters Wilhelms I. an Kanzler Bismarck Frankreichs Empörung, und am 19. Juli erklärte Frankreich Preußen den Krieg. Der Norddeutsche Bund, unterstützt vom Großherzogtum Baden und den Königreichen Bayern und Württemberg, stand im Krieg mit Frankreich.
    Ganz Hamburg war in fieberhaftem Aufruhr, der allerdings mehr jubelnder Begeisterung denn Angst glich. Der Ausbruch des Krieges stieß allenthalben auf ungeteilte Zustimmung. Emily war verwirrt, aber auch neugierig, und ihre Wissbegierde ließ sie ihre Scheu vor dem gedruckten Wort verlieren. Konzentriert buchstabierte sie sich jeden Morgen durch das Hamburger Abendblatt und bestürmte Heinrich jeden Abend mit neuen Fragen zum Krieg. Das Ausmaß dieses Krieges, in den Hunderttausende von Soldaten geschickt wurden, und der Einsatz von Unmengen an Kriegsmaterial von höchster technischer Perfektion, faszinierte Emily ebenso, wie es sie abschreckte. Wie unbedeutend, nachgerade harmlos und primitiv erschienen ihr im Vergleich dazu die Kriege in Afrika, jene Kämpfe, die ihr Vater einst im Oman ausgefochten hatte! Selbst der Zwist zwischen Majid und Barghash seinerzeit, die Bombardierung der Plantage von Marseille, der Beschuss der Stadt von Sansibar und die drohende Vernichtung durch das Kriegsschiff der Briten erschienen ihr im Rückblick beinahe lächerlich.
    Ihr imponierte die flammende Treue der Deutschen zu dieser Sache. Patriotismus war das Schlagwort jener Tage; etwas, das man auf Sansibar nicht kannte, wo jeder nur den größtmöglichen Vorteil für sich selbst im Auge hatte. Ebenso war sie davon beeindruckt, dass die Soldaten sich aus allen Schichten des Volkes zusammensetzten, gleich, ob arm oder reich, gleich, ob jüdischen oder christlichen Glaubens. Was ihr äußerst gerecht erschien, was sie aber gedanklich mit dem Christentum nicht vereinbaren konnte.
    Es ist unfasslich, dass die Bekenner der friedfertigen und Nächstenliebe predigenden Lehre Jesu sich gegenseitig zu überbieten suchen, wer die tödlichste und am meisten Leben vernichtende Waffe erfinden kann. »Fortschritt« nennen sie dies hier. Doch diese Kunst des Krieges, die als Fortschritt bezeichnet wird, kann man doch nicht anders als satanisch nennen.

    Trotzdem war Emily in diesem Sommer in Hamburg beinahe glücklich. Der Krieg berührte ihr Leben nicht weiter. Zwar wurde ein Trupp Soldaten in ihrem Haus einquartiert wie bei so vielen anderen Hamburger Familien in diesen Tagen. Doch Emily und Heinrich brachten den Trupp rasch in einem Gasthof unter, weil sich für solcherlei Gäste das Haus dann doch als zu beengt erwies. Vor allem aber wegen der kleinen Kinder, die anfingen zu schreien und zu weinen, sobald sie einen Mann in Uniform erblickten.
    Emily gewann an Selbstvertrauen. Zwischen Köchin Lene und ihr stand es schon lange nicht zum Besten, seit Emily sie zufällig dabei erwischt

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