Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
seine abtrünnige Schwester über Heinrich und Rehhoff Zugriff auf den Ertrag ihrer Besitzungen bekommen sollte.
Was zunächst ausgesehen hatte wie ein hoffnungsvoller Beginn, war jedoch rasch von einem Rückschlag nach dem anderen zunichte gemacht worden. Rehhoff hatte sich eigenmächtig mit einem anderen deutschen Agenten namens Carl C. Schriever zusammengetan und begonnen, Heinrichs Geschäfte unter seinem eigenen Namen abzuwickeln. Heinrich ahnte Böses, vor allem finanziellen Verlust, aber möglicherweise auch eine Beschädigung seines Namens als vertrauenswürdiger Geschäftsmann und sah sich nun auch aus eigenem wirtschaftlichem Interesse gezwungen, so schnell wie möglich nach Sansibar zu reisen, um sich vor Ort um alles zu kümmern. In seiner Bedrängnis wandte sich Heinrich an niemand Geringeren als den Kanzler des Deutschen Bundes, Otto von Bismarck. Sultan Majid überschreite die Grenzen des Statthaften, wenn er ihm nicht einmal erlaube, als Empfänger sansibarischer oder als Lieferant deutscher Produkte aufzutreten, wie er ihm schrieb, wobei er sich auf den Handelsvertrag von 1859 zwischen Hamburg und Sansibar berief, der es jedem Hamburger Bürger gestattete, auf der Insel Handel zu treiben – demnach also auch dem Hamburger Bürger Rudolph Heinrich Ruete.
Majid indes war anderer Auffassung. Für ihn standen sowohl Herr Ruete als auch Herr Rehhoff außerhalb des Gesetzes, wie er durch den britischen Konsul Churchill mitteilen ließ. Zumindest, was die Regierung der Hansestadt und auch die des Bundes in Berlin anbetraf, wusste Heinrich diese nun auf seiner Seite. Sein Pochen auf den Handelsvertrag hatte sich als äußerst kluger Schachzug erwiesen, und der Konsul des Norddeutschen Bundes war gehalten, Heinrichs Anliegenbeim Sultan zur Sprache zu bringen und auch in geeigneter Weise zu unterstützen – wie das auch immer aussehen mochte. Nun konnten Heinrich und Emily nichts weiter tun, als abzuwarten, wie dieses Tauziehen letztlich ausgehen würde – und vor allem, wie lange es noch andauern mochte.
Emily sah ihren Mann an, auf dessen Gesicht sich Hoffnung und Aufmunterung abzeichneten. Den Mann, für den sie alles aufgegeben hatte – ihre Heimat, ihre Familienbande, sogar ihren Glauben. Der sie immer auffing, wenn sie zu fallen glaubte. Der immer zuversichtlich blieb, wenn sie verzweifelte.
Hätte ich ihn nicht, wäre ich noch auf Sansibar. Aber was wäre mir Sansibar ohne ihn?
Emily löste ihre Finger aus den seinen und legte die Arme um seinen Hals, schmiegte sich an ihn und küsste ihn zärtlich auf die Wange.
»Komm nur gesund wieder nach Hause«, flüsterte sie.
Endlos waren die drei Wochen, in denen Heinrich in England weilte. Obwohl Emily sich so gut zu beschäftigen suchte wie nur möglich: In dem Kinderwagen, der eigens für die Ruete-Kinder gebaut worden war, geräumig genug, dass alle drei bequem darin Platz hatten, schob sie ihren Nachwuchs durch halb Hamburg. Mit ihrer aus Unruhe geborener Energie werkelte sie im Garten, goss und pflanzte, jätete Unkraut und schnitt verwelkte Triebe ab, während die Ziege, die Heinrich ihr zuliebe angeschafft hatte, rings um den Pflock, an dem sie angebunden war, den Rasen stutzte. An einem Tisch im Garten erledigte sie die Stopfarbeiten und sah zu, wie Tony auf ihren kräftigen Beinen umherstapfte und die Welt entdeckte, während ihr kleiner Bruder noch unsicher hinter ihr her tapste. Said war nach seinem Großvater benannt worden und geriet äußerlich ganz nach diesem: dunkel in Teint und Augenfarbe,schmal und feingliedrig, dabei aber vielmehr zäh denn zart. Und so willensstark, dass er brüllen konnte, bis sein Gesicht purpurrot anlief, wenn ihm etwas nicht passte. Rosa hingegen versprach ein echter Sonnenschein zu werden, die einen jeden sofort anstrahlte, der sich über den Rand des Körbchens beugte, das im Schatten unter dem Fliederbaum stand.
Eigentlich waren es schöne Tage in diesem Juni, und doch vermochte Emily sie nicht zu genießen. Nicht ohne Heinrich. Auch nicht, obwohl sie nun guten Gewissens den Dienstmädchen und der Kinderfrau bei der Arbeit zur Hand gehen konnte, ohne dass Heinrich sie sanft schalt, sich nicht so abzumühen, schließlich hätten sie genau dafür ja das Personal eingestellt.
Noch nie war sie so lange von Heinrich getrennt gewesen, nicht mehr seit dem Tag, als er sie in Aden abgeholt hatte.
Als die Droschke vorfuhr, die ihn von seiner Reise nach Hause brachte, stürmte Emily ihm entgegen, schneller, als
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