Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
eingeholt, ihren Sohn eine militärische Laufbahn einschlagen zu lassen. Anfangs hatte sie gezögert, ihn in die Kadettenanstalt zu Bensberg bei Köln zu geben; der zurückliegende Krieg hatte eine gewisse Abneigung gegen das Soldatentum hinterlassen in ihr, und sie fürchtete, Said sei dem Drill dort nicht gewachsen, kränklich, wie er zuweilen war. Doch in einer solchen Institution würde er eine hervorragende Schulbildung erhalten, die Emily nichts kostete, er würde Verbindungen knüpfen, die ihm später von großem Nutzen sein konnten, und so hatte sie zugestimmt. Um ihm die erste Zeit dort zu erleichtern,waren seine Mutter und seine Schwestern mitgefahren, hatten ein Jahr in einem billigen Hotel in Köln gelebt, um den Sohn und Bruder so oft wie möglich sehen zu können. Said hatte es in der Tat nicht leicht gehabt mit seiner dunklen Hautfarbe, seinem ungewöhnlichen Vornamen und dem Nachnamen, der verriet, dass er der Sohn der Prinzessin von Sansibar war, über die manchmal in der Presse geschrieben wurde. Mittlerweile jedoch hatte er sich dort offenbar gut eingelebt, und Emily konnte nur hoffen, dass das auch so blieb.
Habe ich das Richtige getan, Heinrich? Wärst du damit einverstanden gewesen?
»Ja, Rosa.« Emily neigte den Kopf und küsste ihre jüngste Tochter auf die Wange, danach Tony. »Dann kommt ihr mit. Alle drei.«
Tonys Argwohn sollte sich als berechtigt erweisen: Barghash blieb seiner Schwester einmal mehr eine Antwort schuldig. Wie zum Trotz reichte er den Brief gegen ihren Wunsch an den neuen britischen Konsul Dr. John Kirk weiter und betrachtete die Angelegenheit damit als erledigt.
54
Berlin, Mai 1885
Die Uhr tickte gemächlich in die Stille der späten Abendstunden hinein. Ein gediegenes Geräusch, ganz wie es dem gediegenen Raum angemessen war, mit seinen schweren Möbeln aus dunklem, schimmerndem Holz und den gerahmten Gemälden an den Wänden. Behaglich beinahe, und doch arbeitete hier kein Geringerer als der mächtigste Mann des Kaiserreiches.
Reichskanzler Otto von Bismarck warf immer wieder einen Blick auf die Briefe und Memoranden, die seinen Schreibtisch bedeckten, und fuhr dabei nachdenklich mit dem Fingerknöchel über seinen dicken weißen Schnurrbart.
Vergangenen Juni hatte er einen Brief von Emily Ruete erhalten, in dem sie ihn ehrfurchtsvoll um eine Audienz bat und darum, die Ansprüche einer deutschen Untertanin gegen den Sultan von Sansibar zu unterstützen.
Für Bismarck war der Fall Ruete nicht neu. Schon ihr verstorbener Ehemann hatte sich an ihn, damals noch Kanzler des Norddeutschen Bundes, gewandt, damit er ihm auf Sansibar zu seinem Recht verhelfe, und auch den Kampf der Witwe um Heimkehr und Erbe hatte er mitverfolgt. Wie sie ihre Eingaben nach und nach, über Jahre hinweg, beharrlich an allehochgestellten und einflussreichen Persönlichkeiten im In- und Ausland gerichtet hatte und selbst den Deutschen Kaiser dabei nicht außen vor ließ. Der Reichskanzler wusste nicht so recht, ob er das Verhalten dieser Frau anmaßend finden sollte oder ob es ihm Respekt abnötigte. Damit befand er sich in genau demselben Zwiespalt wie Öffentlichkeit und Presse. Dennoch war er stets bereit gewesen, behutsam und in einem beschränkten diplomatischen Rahmen ihr Anliegen vertreten zu lassen, schon allein aus Gründen der Menschlichkeit. Bislang war dieses Anliegen allein ein privates gewesen; mittlerweile jedoch hatte Bismarck anders darüber zu denken begonnen.
Sieht mein Bruder, hatte sie ihm geschrieben, dass Deutschland, das Vaterland meiner Kinder, sich unser annimmt, so wäre es nicht allein möglich, meine Erbansprüche noch geltend zu machen; ich könnte bei meiner jetzigen Kenntnis der europäischen Verhältnisse meinen deutschen Landsleuten auch gewiss von manchem Nutzen sein.
Eine Formulierung, die ihm im Gedächtnis geblieben war und deretwegen er die Akte Ruete heute zum wiederholten Mal auf seinem Schreibtisch liegen hatte. In der Tat war ihm der Gedanke gekommen, dass Emily Ruete für das Deutsche Reich von Nutzen sein könnte.
Nicht nur das Deutsche Reich, sondern ganz Europa befand sich in einer wirtschaftlichen Krise. Während die Industrialisierung weiter voranschritt, immer schneller und immer mehr Waren produzierte, schrumpften die Märkte, auf denen diese sich absetzen ließen. Neue Märkte mussten erschlossen werden, und der einzige Kontinent, der noch nicht zum Abnehmer europäischer Produkte geworden war, war Afrika. Die Expeditionen der
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