Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
vergangenen zwei Jahrzehnte, von Livingstone und Stanley, Burton und Speke, hatten Afrika im Namen der Wissenschaft inzwischen nicht nur fast vollständig erforscht und kartographiert. Es hatte sich auchgezeigt, dass im Boden des Schwarzen Kontinentes ungeahnte Schätze ruhten. Rohstoffe waren hier leicht verfügbar, die Arbeitskräfte billig zu haben, und vor allem versprach Afrika ein einziger gigantischer Absatzmarkt für europäische Waren zu werden. Und zusammen mit den Segnungen des technischen Fortschritts, mit den Waren aus europäischen Fabriken, Manufakturen und Werkstätten ließen sich auch die Segnungen der Zivilisation und des christlichen Glaubens vorzüglich nach Afrika exportieren. So konnte man nicht nur großen Profit machen, sondern sich auch in der Gewissheit sonnen, ein gutes Werk zu verrichten.
Großbritannien hatte schon längst den Anfang gemacht und unlängst auch Ägypten besetzt, Frankreich zog mit Tunesien nach; Italien fasste in Eritrea Fuß, und selbst das kleine Belgien begehrte eine Kolonie in Afrika. Der Wettlauf um Afrika war eröffnet. Daher war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis auch im Deutschen Reich Stimmen laut wurden, ebenfalls afrikanische Gebiete in Besitz zu nehmen, um nicht den Anschluss an die anderen Nationen zu verlieren.
Ein Drängen, das bei Bismarck zunächst auf taube Ohren gestoßen war. Er war kein Freund der Kolonialisierung, er hielt es für wichtiger, die Macht in Europa zu festigen und auszudehnen. Doch er sah ein, dass die Wirtschaft des Deutschen Reiches Kolonien brauchte, und einem Aufschwung wollte er keine Steine in den Weg legen. Landstriche im Westen und Südwesten des Kontinentes wurden unter deutsche Schutzherrschaft gestellt, und die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft erwarb von einer Handvoll Stammeshäuptlingen Gebiete an der Ostküste.
Womit Sansibar ins Blickfeld der deutschen Kolonialbestrebungen geriet. Im Vergleich zu früheren Jahren hatte das deutsche Interesse am Handel mit Sansibar etwas nachgelassen. Dennoch blieb Sansibar das Tor zum Osten Afrikas.Die Insel war nicht nur ein idealer Stützpunkt, um weiter ins Innere des Kontinentes vorzudringen; von Sansibar aus führten alte und gut eingeführte Handelsstraßen nach Afrika und wieder zurück. Je weiter sich die Kolonialmächte in Afrika ausbreiteten, desto mehr würde Sansibar daraus seinen Nutzen ziehen und desto größer würde auch die Bedeutung dieser Insel. Nicht allein deshalb nutzte Bismarck den Rücktritt des bisherigen Konsuls aus gesundheitlichen Gründen, um den Afrika-Forscher Gerhard Rohlfs zum Generalkonsul zu ernennen. Aus der hanseatischen Vertretung, die neben ihren konsularischen Aufgaben hauptsächlich eine Handelsvertretung gewesen war – und zwar für die Firma O’Swald mit deren ganz eigenen Interessen –, wurde ein offizielles Amt des Deutschen Reichs. Woraus sich die Notwendigkeit ergab, mit dem Sultan von Sansibar einen neuen Handelsvertrag abzuschließen, der den bald dreißig Jahre alten Vertrag mit den Hansestädten ersetzen sollte.
Der leicht reizbare Barghash indes hatte sich wenig begeistert gezeigt über die deutsche Inbesitznahme von Gebieten, die so dicht an seinen eigenen lagen. Sowohl an das Deutsche Reich wie an Großbritannien hatte er heftigen Protest gerichtet, eigene Besitzansprüche auf diese Territorien geltend gemacht und sogar Truppen dorthin entsandt. Zu Kriegshandlungen war es zwar noch nicht gekommen, aber Bismarck ahnte, dass dies womöglich nur eine Frage der Zeit sein würde. Unruhe lag in der Luft, und es war angeraten, auf alles vorbereitet zu sein.
Frau Ruete selbst hatte im vergangenen Jahr in einem Brief an Kaiser Wilhelm I. die Bitte geäußert, unter dem Schutz der deutschen Flagge – und zwar mit einem Kriegsschiff – in Sansibar ihre Ansprüche geltend zu machen.
»Soll sie haben, soll sie haben«, murmelte der Reichskanzler vor sich hin. »Und nicht nur ein Schiff.«
Für ihn war die baldige Reise Emily Ruetes nach Sansibar beschlossene Sache.
General von Caprivi, der Oberbefehlshaber der Marine, war zwar nicht sonderlich erbaut, Schiffe seiner Flotte für einen solchen Zweck abzustellen. Was denn geschehen solle, wenn keine Versöhnung der Geschwister zustande käme? Was, wenn, wie er schrieb, er die Dame zurückweist, Gewalt anwendet gegen sie oder sie tötet?
»Dann«, murmelte Bismarck vor sich hin, »dann haben wir einen Grund, Barghash anzugreifen.« Und führte sein Selbstgespräch nach einer
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