Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
blieb, als dieser Aufforderung nachzukommen, so demütigend es ihr auch erschien.
» Shikamoo, shikamoo – guten Tag, guten Tag!«, rief der Junge und steuerte sein kleines Boot dicht an die Adler . »Orangen, frische Orangen«, setzte er in holprigem Englisch hinzu und hielt lockend mit der Hand eine der orangegoldenen Früchte hoch.
»Ganz frisch«, pries der Junge seine Ware weiter an und deutete in die Körbe neben sich, die prallvoll waren mit Orangen. »Frisch vom Baum, heute Morgen gepflückt!«
»Herr Leutnant?« Fragend wandte sich einer der Offiziere an von Dombrowski.
Mit Blicken versicherte dieser sich, dass seine Passagiere nirgendwo zu sehen waren, und nickte schließlich.
»Geht in Ordnung, aber lassen Sie sich einen guten Preis machen!«
Der Junge verknotete das Tauende, das hinabgelassen wurde, nacheinander um die Körbe, die die Offiziere leer wieder ins Boot warfen, wo er sie geschickt auffing. Als die vereinbarten Münzen zu ihm hinunterprasselten, kam es keck von dem kleinen Obsthändler: »Mein Herr lässt die Bibi Salmé herzlich grüßen!«
Die offensichtliche Enttarnung Frau Ruetes bewog Leutnant von Dombrowski, in aller Eile abzulegen und erneut an der Nordspitze der Insel Zuflucht zu suchen. Am nächsten Tagtraf das Geschwader der Kaiserlichen Marine endlich im Hafen von Sansibar ein, und vier Tage später stieß die Adler dazu. Doch obwohl Kommodore Paschen, der befehlshabende Offizier auf dem Flaggschiff des Flottenverbandes, Emily zuvorkommend begegnete, durfte sie nach wie vor nicht an Land gehen. Die Politik hatte Vorrang vor den Privatangelegenheiten einer Frau Ruete. Erst wenn man auf anderem Wege bei Sultan Barghash nichts erreichen sollte, würde auf Bismarcks Trumpfkarte zurückgegriffen werden.
Emily begann zu ahnen, dass diese Reise nach Sansibar nicht das war, was sie gedacht hatte. Man hatte sie nicht aus Nächstenliebe hierhergebracht und auch nicht deswegen, weil man eingesehen hatte, dass es ihr gutes Recht war.
Sondern weil Emily Ruete die Rolle der schwächsten Figur in einer Partie Schach zugedacht worden war. Scheiterten alle anderen Strategien, konnte ein Bauer nützlich sein; bedurfte man seiner nicht mehr, konnte er ohne große Verluste einfach geopfert werden.
59
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Mama!« Tony umschlang Emily fest und küsste sie.
»Alles Gute fürs neue Lebensjahr, mein Kind «, rief Rosa, drängelte sich zwischen Mutter und Schwester und gab Emily ebenfalls einen Kuss.
»Glückwunsch, Mama!« Said beließ es bei einer kurzen Umarmung.
»Danke, ihr Lieben!« Emily strich ihren Kindern übers Gesicht, übers Haar, über die Schulter, in einer Mischung aus echter Freude und fahriger, nachgerade zorniger Unruhe.
Es war der 30. August, ihr einundvierzigster Geburtstag. Vielleicht die zauberhafteste Sitte, die Emily in Europa kennengelernt hatte: dass man an dem Tag, an dem man geboren worden war, beglückwünscht, gefeiert und beschenkt wurde. Doch seit jenem Jahr, als Heinrich starb, im selben Monat, in den ihr Geburtstag fiel, war ihr wohl noch nie so wenig zum Feiern zumute gewesen wie heute.
Seit achtundzwanzig Tagen kreuzte die Adler in sansibarischen Gewässern, und seit anderthalb Monaten hatten sie keinen festen Boden mehr unter den Füßen gehabt. Emily war es leid, ihre Tage und Nächte auf einem winzigen Dampfer zuzubringen, ihre Heimat schon im Blick und ihr doch keinen Schritt näher gekommen. Wie ein Tier in einem Käfig kamsie sich vor, und noch mehr dauerten sie ihre Kinder. Deren junge Glieder barsten nachgerade vor unterdrückter Energie, vor erzwungener Bewegungslosigkeit auf viel zu engem Raum, und ihr reger, nach Eindrücken und neuen Erfahrungen gierender Geist erstickte in Langeweile. Fast jeden Tag begannen sie ohne erkennbaren Grund Händel untereinander, den Emily nur mit Mühe und viel geduldigem Zureden zu schlichten vermochte.
Heute jedoch schien zwischen den Geschwistern alles eitel Sonnenschein zu sein.
»Wir haben eine Überraschung für dich«, raunte Rosa ihr zu und tauschte verschwörerische Blicke mit Schwester und Bruder. »Komm mit uns an Deck!«
Oben angekommen, erwartete die gesamte Besatzung der Adler unter Leutnant von Dombrowski sie in strammem Salut.
Auch Kommodore Paschen war zugegen, dem bei seiner Ankunft auf Sansibar die Aufgabe zugefallen war, Sultan Barghash ein formelles Dokument zu überbringen, das dem Wunsch des Deutschen Kaisers nach freundschaftlichen Beziehungen zum
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