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Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Titel: Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Sie spürte, wie Tony sich ängstlich in ihren anderen Arm einhängte, als sich die Menschen um sie zusammendrängten, von Admiral Knorr und einem weiteren Offizier auf Armeslänge von ihr ferngehalten, während Said sichtlich beeindruckt hinter ihnen herschritt.
    »Wie geht es Euch, Bibi Salmé? Geht es Euch gut?«
    »Werdet Ihr bleiben, Bibi Salmé?«
    Rufe drangen an ihr Ohr, während sie vom Kai in die erste Gasse einbogen. Menschen, überall Menschen, in all den Farben und unterschiedlichen Gesichtszügen der Insel. Und als Emily den Kopf in den Nacken legte und hinaufsah, entdeckte sie auch dort überall neugierige Menschen. Die Fensterläden standen einen Spaltbreit auf, und dahinter blitzten die von Maske und schele frei gelassenen Augen arabischer Frauen. Ein, zwei besonders Mutige wagten es, ihr zuzunicken oder gar zu winken.
    Es war wie in einem Traum. Die Erfüllung ihrer größten Sehnsucht, zu überwältigend, um einen klaren Gedanken zu fassen.
    Immer mehr Menschen säumten ihren Weg durch die Stadt.
    »Allah sei mit Euch und schenke Euch und Euren Kindern gute Gesundheit!«
    »Allah zum Gruße, Bibi!«
    »Siehst du, siehst du – das ist die Bibi, die lange Jahre in der Fremde gelebt hat und nun wieder zu Hause ist!«
    Mütter setzten sich ihre kleinen Kinder auf die Schultern, damit die über die Köpfe der Menge vor ihnen hinweg eine gute Sicht auf Bibi Salmé haben konnten. Bibi Salmé , deren aufregendes Leben wie ein Märchen erzählt wurde auf Sansibar. Diener drängten sich an Emily heran, entboten ihr schüchterne Grüße und zogen unter ihrem Käppchen auf demkahlgeschorenen Haupt verstohlen zusammengefaltete Zettel hervor, die sie ihr in aller Heimlichkeit zusteckten: Nachrichten von alten Freunden und entfernten Verwandten der Sultansfamilie, die hofften, Emily würde sie besuchen, möglichst ohne dass der Sultan davon erfuhr. Manchmal war eine der massiven Haustüren mit ihrem Schnitzwerk und den zu Ornamenten angeordneten Messingnägeln nur angelehnt, und durch den Spalt glaubte sie Bewegungen zu erspähen, Geflüster zu hören. Als wartete man in diesen Häusern nur darauf, dass sie anklopfte, damit man sie einlassen und ihr Kaffee und Gebäck anbieten konnte.
    Es war seltsam, wieder hier zu sein. Hocherhobenen Hauptes und mit bloßem Gesicht durch die Straßen und Gassen zu gehen, die sie früher nur verschleiert und in der Nacht hatte betreten dürfen. Nun ging sie einher in ihrem schmal geschnittenen, an der Taille eng geschnürten Kleid, das zu Heinrichs Gedenken noch immer schwarz war, einen kleinen Hut mit breiter Krempe zum Schutz gegen die Sonne auf dem hochgesteckten Haar.
    Ihre äußere Erscheinung stand in scharfem Kontrast zu ihrer Umgebung, noch betont durch die fortwährende Anwesenheit eines bewaffneten Offiziers.
    Sie empfand sich als Widerspruch. Als Fremdkörper in den Gassen ihres früheren Lebens.

    Es war eine seltsame Art der Heimkehr.
    Jeden Abend, bevor es dunkel wurde, mussten Emily und die Kinder auf Anordnung des Admirals an Bord der Adler zurück, um dort die Nacht zu verbringen. Nur am Tag durfte Emily auf die Insel übersetzen, um dort in den Straßen und Gassen umherzustreifen, die ihr vertraut waren und doch nicht mehr dieselben wie damals.
    »Zeig uns doch das Haus, in dem du früher gewohnt hast«, bat Tony an einem dieser Tage.
    »Au ja«, jubelte Rosa. »Das Haus, von dem du uns erzählt hast. Wo du Vater kennengelernt hast!«
    Emily zögerte. Diesen Teil der Stadt hatte sie bislang auf ihren Wanderungen gemieden. Sie fürchtete, was sie heute dort vorfinden mochte, und noch mehr fürchtete sie die Erinnerungen an Heinrich.
    »Bitte, Mama«, schloss sich Said dem Wunsch seiner Schwestern an. »Ich möchte es auch sehen!«
    »Ein andermal vielleicht«, versuchte Emily sie zu vertrösten. Doch ihre Kinder blieben hartnäckig, bis Emily schließlich nachgab.
    Sie kannte den Weg im Schlaf, noch immer, auch wenn sie an jeder Ecke zweifelte, ob ihr Instinkt sie nicht doch trog. Schließlich blieb sie in einer Gasse stehen und blickte sich verwundert um.
    »Hier müsste es sein«, murmelte sie vor sich hin und suchte die Fassaden der Häuser mit den Augen ab. »Zumindest dieser Teil hier«, ihr Zeigefinger überstrich die unteren Stockwerke, wo fortwährend hellhäutige blonde Männer in hellem Anzug und sansibarische Bedienstete heraustraten oder hineingingen und sie mit verhaltenem Interesse musterten.
    »Das oberste Geschoss gab es damals nicht.«

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