Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
solche Begegnung zu verhindern, und ebenso wie die Einmischung des Kaiserreichs.
Erst die Jahre, die auf diesen Besuch folgten, die Nachrichten über den Fall Ruete , die in seinem Konsulat eintrafen, der Brief, den Emily Ruete vor zwei Jahren an ihren Bruder schrieb und den Barghash ihm übergab, ließen ihn allmählich ahnen, dass Emily Ruete zur Schachfigur im Wettlauf Deutschlands und Englands um Afrika zu werden drohte. Durchaus aus eigenem Verschulden, wie Kirk verärgert feststellte. Es missfiel ihm, wie hartnäckig sie an hochgestellte Persönlichkeiten zwischen Berlin, London und Cairo herangetreten war, um ihr Anliegen vorzubringen. Wie sie sich Barghash angedientund versucht hatte, ihn gegen Großbritannien einzunehmen, zu ihrem eigenen Vorteil. Hoffärtig fand er dieses Verhalten, anmaßend ihr Beharren auf Geld, das sie für sich beanspruchte, und verbohrt obendrein. Statt sich mit dem Los zu bescheiden, das das Leben ihr zugedacht hatte – das Leben, das sie mit ihrem Verhältnis zu einem Deutschen selbst gewählt hatte –, brachte sie die Beziehungen zwischen dem Sultan und den Europäern in Gefahr.
Sollte sich an Bord dieses deutschen Dampfers, der sich derart merkwürdig verhielt, tatsächlich Bibi Salmé befinden, könnte dies einiges verändern auf Sansibar. Kirk traute den Deutschen nicht über den Weg, und er traute ihnen allerhand zu – sogar, dass sie den Sohn von Emily Ruete als Marionetten-Sultan einsetzen wollten.
»Pass auf«, wandte er sich an den Jungen, der bereits begonnen hatte, ungeduldig über das lange Schweigen des Konsuls, von einem Bein auf das andere zu treten. »Du bekommst noch einmal so viel Geld von mir, wenn du Folgendes tust …«
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»Wann kann ich endlich an Land?«
Emily umklammerte die Reling der Adler so fest, dass ihre Sehnen und Muskeln zum Zerreißen gespannt waren.
»Wir müssen auf den restlichen Flottenverband warten, Frau von Köhler. So lautet der Befehl«, gab Leutnant von Dombrowski ihr zur Antwort, nickte ihr knapp, aber nicht unfreundlich zu und begab sich unter Deck.
Dieselbe Antwort, seit Tagen schon, auf die Frage, die Emily unablässig stellte, seit sie zum ersten Mal wieder einen Blick auf ihre Heimat geworfen hatte. Vier Tage kreuzten sie nun schon in den Gewässern vor Sansibar, hielten tagsüber Ausschau nach dem Geschwader der Kaiserlichen Marine, das von seinem Stützpunkt an der Westküste Afrikas aus eintreffen sollte, und schickten des Nachts fragende Leuchtspuren in die Finsternis über dem Ozean. Bislang ohne die erhoffte Erwiderung.
Emilys anfänglich überwältigendes Glücksgefühl war unter der Sonnenglut an Deck dahingeschmolzen, hatte sich in der bedrückenden Enge des Dampfers, der ursprünglich für den Transport von Schafen von Bremerhaven nach Hull oder London gebaut und in aller Eile für sie als Passagiere hergerichtet worden war, der sich jedoch nicht dafür eignete, dass manlängere Zeit darauf lebte, zu einem harten, quälenden Knäuel in ihrer Magengrube zusammengeballt.
Grausam war es, Sansibar nur aus der Ferne sehen zu dürfen. Die körperlichen Leiden, die Emily in Deutschland geplagt hatten, die steifen Gelenke und die Kopfschmerzen, ihr flatterndes Herz und der unruhige Magen, waren verschwunden. Sie vergaß, dass ihr Leib Spuren trug von bald einundvierzig Lebensjahren, von Schwangerschaften und Geburten. Dass Leid und Not und viel zu viele Tränen daran genagt, ihn ausgewaschen oder plumper gemacht hatten, so wie das Meer der Küste über die Jahre kaum merklich eine neue Gestalt gibt, mit jedem Anrollen, mal sacht, mal voll heftigen Zorns. Emily fühlte sich keinen Tag älter als zwanzig. In ihr vibrierte eine Kraft, die sie längst erstorben geglaubt hatte und die in der erzwungenen Bewegungslosigkeit auf dem kleinen Schiff wehtat in den Muskeln und in den Knochen. Ein ziehender, bittersüßer Schmerz voller Lust und Sehnen. Sie wollte barfuß durch den Sand rennen, auf dem Rücken eines Pferdes durch die Wälder und Plantagen der Insel galoppieren, mit großen Schritten durch die Stadt streifen. Sie wollte Sansibar nicht nur sehen, seine Geräusche nicht nur aus der Ferne hören – sie wollte es riechen, schmecken, fühlen, mit allen Sinnen in sich aufnehmen. Wieder ein Teil davon sein.
Emily konnte den Blick nicht von der Insel lösen. Sog gierig jedes noch so kleine Detail in sich auf, verglich, was sie sah, mit den Bildern, die sie all die Jahre in ihrem Inneren mit sich getragen hatte.
Das
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