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Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Titel: Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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ihren Schluchzern. »Hab tausend Dank!«

Die versunkene Welt
    Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.
    JEAN PAUL
57
    Sansibar, Anfang August 1885

    »Was gibt es Neues von unserem geheimnisvollen Schiff ?«
    Dr. John Kirk, seit über einem Jahrzehnt Generalkonsul Großbritanniens auf Sansibar, war beunruhigt. Über die baldige Ankunft eines deutschen Geschwaders als Druckmittel auf den Sultan war er unterrichtet, doch das kleine Dampfschiff unter deutscher Beflaggung, das seit vier Tagen immer wieder vor dem Hafen auftauchte, tagsüber in gebührender Entfernung zur Küste den Anker auswarf, dann wartete, bis es dunkel war und es Leuchtsignale aussenden konnte, bevor es sich bis zum nächsten Morgen wieder davonmachte, gab ihm Rätsel auf.
    »Sie haben mich nicht draufgelassen«, erwiderte der sansibarische Junge, den er gegen ein paar Rupien auf einem Fischerboot als Kundschafter ausgeschickt hatte, auf Suaheli und fügte ein zackig englisches »Sir!« hinzu, ehe er in seiner Muttersprache fortfuhr: »Aber ich hab gesehen, dass sich drei Frauen auf dem Schiff verstecken, Sir! Ich hab ihre Röcke gesehen.« Ein breites Grinsen auf seinem braunen Gesicht entblößte ein Paar weißer, ungewöhnlich großer Schneidezähne im Oberkiefer. »Ich hab ihre Füße gesehen!«
    Kirk schob den Unterkiefer vor und kraulte sich nachdenklich den struppigen lohfarbenen Bart, über den sich seine Gattin Helen seit ihrer Heirat vor siebzehn Jahren beklagte, er kratze wie eine Scheuerbürste – was ihn weder dazu hatte bewegen können, ihn abzunehmen, noch einen Hinderungsgrund dargestellt hatte, zusammen einen Sohn und fünf Töchter in die Welt zu setzen.
    Was ihm der Junge berichtete, deckte sich mit dem, was auch Fischer und Matrosen an Bord sansibarischer und afrikanischer Boote und Segler beobachtet hatten: Drei Frauen befanden sich an Bord der Adler – eine Mutter, etwa Anfang vierzig, von dunkler Hautfarbe und mit schwarzem Haar, ihre beiden Töchter und ein Bursche, der zwar aussah wie ein Araber, aber europäische Kleidung trug und durchaus auch Spanier sein konnte, vermutlich der Sohn und Bruder. Diese Beschreibung, zusammen mit dem Umstand, dass besonders die Mutter sich fast immer, wenn sich ein anderes Schiff näherte, hinter einem Sonnensegel oder hinter den Aufbauten verbarg, ließen bei Dr. Kirk einen ungeheuren Verdacht aufkeimen.
    In seiner Eigenschaft als Generalkonsul mit all den dazugehörigen Aufgaben und gesellschaftlichen Verpflichtungen ständig überarbeitet, hatte er mit der Zeit schon fast ganz vergessen, dass er vor bald zwanzig Jahren ein Kriegsschiff zur Verfügung gestellt hatte, um einer Schwester des damaligen Sultans Majid zur Flucht von der Insel zu verhelfen. Mrs Seward hatte ihn damals um Hilfe ersucht – Mrs Seward, die auch dafür gesorgt hatte, dass die ledige Helen Cooke kurz darauf ein Schiff betrat, das sie nach Sansibar brachte, um Kirks Frau zu werden. Vergangenen Oktober waren die Sewards nach Großbritannien zurückgekehrt, um Dr. Sewards wohlverdienten Ruhestand nach bald dreißig Jahren in der Fremde zu genießen. Mrs Sewards blaue Augen und ihre überaus charmant vorgebrachte Bitte waren nicht der einzige Grundgewesen, weshalb Kirk bereitwillig die Rolle des Fluchthelfers übernommen hatte. Es war vor allem die Überzeugung gewesen, damit Leben zu retten, die unverdienterweise mit dem Tod bedroht gewesen waren, die letztlich den Ausschlag für sein Handeln gegeben hatte. Ein Einsatz christlicher Nächstenliebe von aus seiner Sicht nicht einmal besonderer Tragweite, für den er nie Dank erwartet und an den er kaum mehr einen Gedanken verschwendet hatte.
    Bis er Sultan Barghash vor fast genau zehn Jahren nach London begleitete. Kirk hatte erstaunt, ja geradezu befremdet festgestellt, in welcher Aufregung sich sowohl die englische Regierung als auch das deutsche Auswärtige Amt befanden, als sei eine mögliche Begegnung zwischen Bruder und Schwester eine Angelegenheit von internationaler Bedeutung. Die Deutschen waren durchaus dafür, die Briten unbedingt dagegen, und Kirk stand als Vertreter Großbritanniens sowie als Vertrauter des Sultans und damit als Ansprechpartner für deutsche Anliegen genau zwischen den Fronten. Der an Fanatismus grenzende Hass des Sultans auf seine Schwester war ihm ebenso ein Rätsel wie der Zorn der Königsfamilie auf den orientalischen Herrscher, wie die hektischen Bemühungen der britischen Regierung, eine

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