Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
stecken, als ihre Schwester aufsprang und mit Pantoffelgeklapper und Umhanggeflatter hinausstürmte, und machte sie würgen.
Müde schlich sie sich zurück aufs Dach, blickte lange auf die Stadt hinab, lauschte den Stimmen, den Schritten und vereinzelten Klängen von Musik. Obwohl die Nacht warm war, begann Salima zu frösteln und wickelte sich tiefer in ihre schele . Sie legte den Kopf zurück und sah hinauf in den Himmel, der seine endlose funkelnde Pracht über ihr ausbreitete. So weit das Auge reichte, geschmeidige Schwärze und Sternensaat. Und Salima fühlte sich entsetzlich allein und verlassen, gleich einem Sandkorn, das verloren gegangen war in der Unendlichkeit.
Doch sie war nicht gänzlich allein. Ein Augenpaar ruhte auf ihr, zusammengekniffen zum Schutz gegen den beißenden Qualm einer Zigarre und doch in aufmerksamer Beobachtung, verborgen im schwarzen Viereck eines unbeleuchteten Fensters unterhalb von ihr, im Haus gegenüber.
Nicht zum ersten Mal stand er dort, und nicht zum ersten Mal erregte die neue Nachbarin seine Aufmerksamkeit. Er hätte nicht zu sagen vermocht, was es an ihr war, das seine Neugierde weckte. Auf den ersten Blick war sie nur eine von vielen arabischen Frauen Sansibars, gesichtslos hinter der Maske, verborgen unter dem schwarzen Stoffzelt des Überwurfs, unter dem sie, wenn er sich im Wind bauschte und flappte, trotz der farbenfrohen Kleidung darunter allesamt aussahen wie die Nachtfalter, die er aus seiner Heimat kannte. Oder wie die Fledermäuse, die manchmal in der kurzen Dämmerung als Schattenvögel über die Dächer der Stadt segelten.
Es war vielleicht die Art, wie sie sich hielt, aufrechter als andere, als wollte sie der ganzen Welt die Stirn bieten und wortlos verkünden: Seht, ich beuge mich nicht! Vielleicht auch, dass ihrer Gestalt das Heitere, Sorglose der orientalischen Lebensart fehlte. Stattdessen verströmte sie eine Schwere, einegrüblerische Traurigkeit, die den Sansibaris sonst so fernlag und die ihn auf eigentümliche Art faszinierte.
Doch auch heute ließ er die Zeit ungenutzt verstreichen, bis die gerollten Tabakblätter fast zur Gänze in Rauch aufgegangen waren, er den Stumpen ausdrückte und im Inneren des Hauses verschwand.
Ein Garten aus Gewürznelken und Rosen
Wenn dem Dufthauch von Jasmin oder Rose
Aus einem verborgnen Garten ich auf meinem Weg begegne
Bleib ich verwundert stehen, dreh mich um und schau
Ob irgendwo dein Weg vielleicht sich mit dem meinen kreuze.
MALIK BIN ASMA
21
Unsicher stand Salima vor Majid, ihrem Bruder, der ihr einst so nahegestanden und den sie so lange nicht mehr gesehen hatte. Mit einem großen Gefolge aus Leibdienern und Sklavinnen, wie es einem Sultan gebührte, war er zu ihr gekommen.
Seine seit frühester Jugend durch Pockennarben gezeichnete Gesichtshaut war fahlgelblich mit einem grauen Unterton und spannte sich straff über den hohlen Wangen. Die matten Augen waren von tiefen Schatten umgeben, an den Schläfen und in seinem Bart zeigte sich bereits der erste Silberschimmer. Der feine Stoff seines hellen Gewandes und des dunklen mantelähnlichen Überwurfs, mit Bordüren in aufwändiger Stickerei verziert, betonte noch sein ohnehin kränkliches Aussehen. Und die schweren Ringe saßen locker an den Fingern, die durch ihre Magerkeit überlang wirkten.
»As-salamu aleikum« , murmelte Salima verlegen; sie fühlte sich mit einem Mal wieder wie ein kleines Mädchen.
»Wa aleikum as-salam« , erwiderte Majid ihre Begrüßung. »Obschon der Ältere von uns beiden, habe ich mich doch als Erster aufgemacht, um dich wieder in der Stadt zu begrüßen.«
Obwohl freundlich gesprochen und gewiss auch so gemeint, kamen ihr seine Worte doch vor wie eine Ohrfeige, dieSalimas Wangen brennen ließ. In der Tat – als die Jüngere, als die Rangniedrigere wäre es Salima zugefallen, Majid als Erste aufzusuchen. Dass er sich dazu herabließ, den ersten Schritt auf sie zu zu machen, bewies seine Großmut, aber es bewies auch, dass er sich ihrer Schuld nach wie vor bewusst war.
»Mein Dank ist dir gewiss«, fuhr er fort, »dass du die Güte besaßest, den Besitz von Bububu abzutreten, und du somit mein Gesicht vor dem Konsul der Engländer gewahrt hast.«
Der Schmerz über den Verlust von Bububu, die Sehnsucht nach dem Haus, dem verwilderten Garten und dem Stück Meer davor mischte sich mit dem Zorn gegen Majid, dass er ihr das alles genommen hatte, und zusammen mit der Erleichterung, dass eine Versöhnung zum Greifen nah
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