Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
verkriechen!« – »Du kommst mit uns in die Stadt!«, riefen die drei durcheinander.
20
»… ich jedenfalls freue mich, dich nach der ganzen Zeit wiederzusehen – und dann gleich noch als Nachbarin!«
Salima lachte und stützte die Ellenbogen auf die Brüstung der Dachterrasse. »Wer hätte das gedacht, nicht wahr?«
»Wie ich immer sage«, bemerkte Zahira, eine etwa gleichaltrige Araberin, die früher oft in Beit il Tani zu Gast gewesen war. »Ein jedes Ding hat auch seine guten Seiten.«
»Das ist wohl wahr«, erwiderte Salima und ließ unwillkürlich ihre Augen über die Dächer der Stadt schweifen. Es war bereits dunkel, und die erleuchteten Fenster ließen nur mehr die Umrisse erkennen. Jetzt, bei Nacht, war der Ausblick über die Stadt beinahe reizvoll zu nennen. Bei Tag jedoch, im gnadenlosen Sonnenlicht, das wie unter einem Brennglas schadhaften Putz und rissigen Stein sichtbar machte, Unrat und Schmutz, das Ausdünstungen und Gerüche aufkochte, gefiel es ihr hier gar nicht. Dabei handelte es sich um eine gute Adresse, die Abd il Wahab für sie gefunden hatte, im Viertel der Händler, in dem neben Arabern und den wenigen Indern, die den Aufstieg geschafft hatten, Engländer lebten, Deutsche, Amerikaner und Franzosen, die alle großen Wert auf ansprechende Bauten und auf Bequemlichkeit legten. Doch im Vergleich zu Kisimbani und Bububu wirktealles hier hässlich auf Salima. Trostlos und doch schmerzhaft grell, laut und umtriebig. Vor allem viel zu weit entfernt vom Meer, von dem sie durch einige Straßenzüge getrennt war. Nur manchmal ließ es sich hier oben auf dem Dach erahnen.
»Verzeiht, Bibi Salmé.« Salim war hinter sie getreten. »Ihr habt Besuch.«
»Entschuldige mich, Zahira«, rief Salima hinüber, doch diese winkte ab. »Kein Grund, dich zu entschuldigen! Wir sehen uns jetzt ja öfter. Und ich muss auch nach den Kindern sehen. Gute Nacht, Salima!«
»Gute Nacht! – Wer ist es denn?«, fügte sie, an Salim gewandt, hinzu.
Salims Augen waren geweitet vor Erstaunen, als er ehrfürchtig flüsterte: »Sayyida Chole, Bibi Salmé.«
»Chole!« Mit ausgebreiteten Armen eilte Salima auf ihre Schwester zu, ein Leuchten auf dem Gesicht.
Also hat sie meinen Brief erhalten …
Doch das Leuchten erlosch, als Chole keine Regung zeigte, sondern mit verschränkten Armen stehen blieb.
»Nun zeigst du also dein wahres Gesicht, Salima«, kam es von ihr anstelle einer Begrüßung. »Dein Ansehen ist bei mir ohnehin schon gering gewesen seit damals, aber erst jetzt beginne ich zu begreifen, wie verdorben du im Grunde deines Wesens doch bist.«
Salima sah sie verwundert an. » As-salamu aleikum , Chole«, hieß sie ihre Schwester dennoch unverändert freundlich willkommen. »So nimm doch Platz und erzähl, weshalb du mir zürnst.«
Chole ruckte abwehrend mit dem Kopf, ließ sich dann aber doch auf den Polstern nieder, sichtlich widerstrebend und doch gönnerhaft. »Das fragst du noch?«, begann sie erneut. »Du, diedu dich bei Majid und bei den Ungläubigen lieb Kind machst, indem du ihnen Bububu überlässt?«
Salima lachte verständnislos auf. »Aber ich habe dir doch geschrieben, wie sich dies zugetragen hat. Dass mir Majid keine andere Wahl ließ. – Abgesehen davon«, setzte sie spitz hinzu, »ist das allein meine Sache.«
»Dass du eine Verräterin bist und bleibst? Ja, das mag wohl sein, dass das allein deine Sache ist.« Unwillig wedelte Chole mit der Hand, um der Dienerin zu bedeuten, dass sie nichts von dem hereingebrachten Kaffee angeboten zu bekommen wünschte.
»Chole, so sei doch vernünftig.« Salima bemühte sich, die Zorneswogen bei ihrer Schwester zu glätten. »Wie ich dir bereits geschrieben habe: Ich hatte keine andere Wahl!«
»Und deshalb haust du jetzt auch hier, anstatt nach Beit il Tani zurückzukehren? In unserem Haus? Hat dich Majid auch dazu gezwungen?«
»Nein, Chole. Mich hat niemand gezwungen. Abd il Wahab, Jamshid und Hamdan haben mich gebeten, in ihre Nähe zu ziehen und nicht nach Kisimbani zurückzukehren. Ihnen zuliebe habe ich diese Entscheidung getroffen.« Trotz des unguten Gefühls, das sich in ihr regte, blieb Salima ruhig.
Choles Blick wandelte sich von flammendem Zorn zu kalter Verachtung. »Also ist es wahr, was man über dich erzählt: dass du dich den Knechten Englands andienst. Pfui, Salima!«
»Aber ich habe nicht –«
»Was habe ich nur über Jahre hinweg für eine Natter an meinem Busen genährt!«
Chole! Der Ruf blieb Salima in der Kehle
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