Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
nebensächlichen Erkundigung dehnte sich etwas Tiefergehendes aus, das Heinrich nicht verborgen blieb. Eine Spur von Unsicherheit, die Salimas Stimme durchzogen hatte, begleitet von einer keineswegs vagen Hoffnung und unzähligen weiteren Fragen, die unausgesprochen blieben, sich aber in ihren dunklen Augen widerspiegelten, in denen er lesen konnte wie in einem aufgeschlagenen Buch. Dass er selbst seinen Blick abwandte, war der Furcht geschuldet, sie könnte in seinen Augen ebenso lesen, was in ihm vorging.
Eine einfache Frage war es gewesen, die sich ebenso einfach beantworten ließe, mit einem Wort nur. Doch einfach war schon lange nichts mehr zwischen ihm und Bibi Salmé. Was vor etlichen Wochen als launiges Geplänkel von Dach zu Dach seinen Anfang genommen hatte, gewann zunehmend an Tiefe und Ernsthaftigkeit. In dem, was Salima von sich preisgab in diesen Nächten, fand er das wieder, was ihn an Sansibar begeisterte: die kräftigen Farben der Insel, ihr halb arabischer, halb afrikanischer und doch ganz eigener Zauber. Und in ihrer Neugierde auf die Mannigfaltigkeit der Welt, in dem Drang, vorwärtszustreben, etwas anderes zu sehen, Neues zu lernen, nie stehenzubleiben, erkannte er sich selbst wieder. Darin waren sie einander gleich.
Von Maske und schele , von Finsternis und Lampenschatten verhüllt, war sie ihm lange vorgekommen wie das leibhaftige Rätsel Frau, entrückt und nicht greifbar. Nur ihre Stimme war ihm nah gewesen, die dunkel war für eine Frau und doch in ein silberhelles, sprudelndes Lachen übergehen konnte, das ihn über die Gasse, die ihrer beider Häuser trennte, hinweg betörte. Näher, als er sich anfangs hätte vorstellen können,und doch längst nicht nahe genug. Immer stärker wurde sein Wunsch, den Schleier, der Salima umgab, zu lüften und dahinterzublicken, sie ganz zu sehen und zu erfahren.
Er wusste, er spielte mit dem Feuer, und doch konnte er es nicht lassen. Als habe ihm längst jemand die Zügel abgenommen und er jage im gestreckten Galopp durch eine weite Ebene, Augen geschlossen, Arme ausgebreitet und das Gesicht im Wind. Herrlich, so frei zu sein, herrlich, sich so aufgehoben zu fühlen.
Noch zögerte er. Wann tat man den einen Schritt, mit dem es kein Zurück mehr geben würde? Wann ging Mut in Leichtsinn über, für den man später teuer bezahlen würde?
Seine Blicke wanderten hierhin und dorthin, über das glänzende Laub der Bäume, hin zu den Arbeitern, die dem Tross ihrer Bibi Salmé zuwinkten und ihr freundliche Worte zuriefen. Mit Daumen und Zeigefinger strich er sich über den Bart, bevor er die Zügel wieder in beide Hände nahm.
»Warum sollte ich?«, sagte er schließlich leise. »Alles, was mir etwas bedeutet, ist hier auf Sansibar.«
Kisimbani wurde ihnen zu einem sicheren Hort. Zu einem kleinen Paradies, das ganz ihr Eigen war, wann immer Heinrich es einrichten konnte, seinem Kontor und den mit seinen Geschäften verbundenen gesellschaftlichen Verpflichtungen fernzubleiben. Und ihre Ausritte zwischen Palmen und Gewürznelkenbäumen hindurch, ihre Spaziergänge durch den blühenden und Früchte tragenden Garten, die Stunden, die sie im Schatten eines Blätterdaches saßen, überlagerten die Erinnerungen an Djilfidan, die Salima mit bestimmten Orten auf Kisimbani verband, schufen neue, die Salima und Heinrich gehörten und nur ihnen allein.
So sicher fühlte Salima sich auf Kisimbani, dass sie Murjan immer öfter zurück an seine Arbeit schickte, wenn Heinrichvon der Stadt herübergeritten kam, dann die erste Dienerin, die zweite, die dritte, bis es nur noch sie beide gab. Und mutiger wurden sie, wagten sich immer öfter über Kisimbani hinaus. Hinunter ans Meer zog es sie, wo sie durch den weißen Sand ritten, die tiefblaue gekräuselte Fläche zur einen Seite, während sich auf der anderen Palmen und hoch aufwucherndes Gebüsch mit den graubraunen Stämmen der Eisenhölzer mischten, deren dünnfingriges Grün mit Blüten wie granatapfelroten Federbällchen und kleinen runden Zapfen durchsetzt war. Es waren leichte, unbeschwerte Tage für Salima, frei von Sorge oder Furcht, voller Freiheit und Freude. Als gäbe es auf dieser Insel niemanden sonst außer ihnen, und sie sah es Heinrich an, dass er es ebenso empfand.
Es war an einem dieser Tage, dass sie nebeneinander durch den Sand stapften, ihre Pferde am Rande eines Wäldchens angebunden, das in smaragdgrüne Mangrovenriesen auslief, deren frei liegendes Wurzelwerk sich bis hinaus ins Wasser reckte.
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