Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
südwestliche Arabien, nach Aden, versetzen zu lassen. Mittlerweile hatte sich Ruete senior nicht nur mit der Berufswahl Heinrichs versöhnt, nein, er war nachgerade stolz, dass sein Sohn nicht nur für eine namhafte Handelscompagnie tätig war, sondern dass er sogar im Begriff war, eine eigene Gesellschaft aufzubauen, wie Heinrich zufrieden berichtete. Der gute Ruf, den Heinrich auf Sansibar und in der Handelswelt genoss, das kleine Vermögen, dass er sich hier erworben hatte, machten dem altehrwürdigen und guten Namen seiner Familie, der sich bis weit ins sechzehnte Jahrhundert zurückverfolgen ließ, alle Ehre.
Salima sog das alles auf wie ein Schwamm. Heinrichs Schilderungen lockten ihren Geist in eine fremde Welt, die sie bezauberte und betörte. Jedes noch so kleine Detail schloss sie tief in sich ein mit der Absicht, nichts davon jemals wieder zu vergessen. Nahm sogar den Hunger in Kauf, das alles selbst einmal sehen, selbst erleben zu wollen, einen Hunger, der mit jeder Nacht größer und beißender wurde.
Die Tage verstrichen quälend langsam für Salima. Sie wartete sehnsüchtig auf den Sonnenuntergang, auf die Dunkelheit, denn erst dann begann sie richtig zu leben.
Es waren diese späten Stunden, die Stunden mit Heinrich, in denen Salima aufblühte wie die blassen Rispen des Nachtjasmins.
»Warum erzählst du so wenig von dir selbst, Salmé?«, fragte Heinrich eines Abends oben auf dem Dach. Die Zeit, die seit ihrer ersten Begegnung verstrichen war, hatte die Förmlichkeit abgeschliffen und eine Vertrautheit geschaffen, fast wie eine in langen Jahren nach und nach gewachsene Freundschaft.
Salima schwieg. Es entsprach der Wahrheit, dass sie nur wenig über sich preisgegeben hatte in diesen Wochen. Manchmal, wenn Heinrich von den Streichen erzählte, die er als Junge ausgeheckt hatte, hatte sie in sein Lachen eingestimmt und ihrerseits geschildert, was sie und ihre Geschwister angestellt hatten. Dass ihre Mutter an der Cholera gestorben war, hatte sie mit ihm geteilt – ein Schicksalsschlag, der sie beide verband. Auch Heinrich hatte seine Mutter früh verloren, noch sehr viel früher als Salima, mit gerade einmal vier Jahren, und als Heinrich neun gewesen war, hatte auch in Hamburg die Cholera gewütet. Er sprach nur gut über seine Stiefmutter, und doch wurde Salima das Gefühl nicht los, dass in der Wiederverheiratung seines Vaters und in der Geburt zweier Halbbrüder ein weiterer Grund für Heinrichs frühzeitigen Aufbruch in die weite Welt zu suchen war. Auch das war etwas, worin sie sich ihm nahe fühlte, auch wenn sie spürte, dass die Bande ihrer eigenen Familie weitaus fester gewebt waren, im Guten wie im Schlechten. Doch sie schob den Gedanken beiseite, wann immer er sich ihr aufdrängte.
»Vielleicht gibt es über mich nicht sonderlich viel zu wissen«, entgegnete sie schließlich leise und wand den bortengeschmückten Saum ihrer schele um die Finger.
»Das glaube ich dir nicht, Salmé. Als Tochter der Sultansfamilie hast du gewiss viel gesehen und erlebt.«
Salimas Kopf ruckte hoch, und Verblüffung malte sich auf ihrem Gesicht unter der Maske.
»Du weißt es?«
Heinrich lachte leise. »Diese Stadt ist keine, die Geheimnisse gut bewahren kann.« Er zögerte und fügte dann behutsam hinzu: »Ändert das etwas zwischen uns?«
Ein Lächeln huschte über Salimas Züge. »Nein. – Für dich etwa?«, kam es nach einer kleinen Atempause von ihr, ängstlich beinahe, so als fürchtete sie, das, was zwischen ihnen entstanden war, könnte mit jedem weiteren Wort zersplittern wie dünnes Glas.
»Ich wüsste nicht, weshalb«, lautete Heinrichs Antwort, und bei der aufrichtigen Zärtlichkeit darin wurde es Salima warm ums Herz. Dessen Schlag gleich darauf für einen Augenblick aussetzte, als er fortfuhr: »Nur …«
Sie konnte hören, wie er tief durchatmete, sah im Sternenlicht die fahrige Geste, mit der er sich über den Nacken rieb. »Ich möchte dich gern einmal ohne diesen Graben«, er wies auf die Gasse unter ihnen, mit einer Handbewegung, die die Brüstung ihrer beiden Dachterrassen mit einschloss, »zwischen uns sehen. Es – es wäre mir eine Ehre, dich als Gast in meinem Hause begrüßen zu dürfen. Bei einer meiner Gesellschaften vielleicht …«
Salimas Herz schlug schneller, verlangsamte sich dann, schien nur noch mühsam zu pumpen unter der Last der Traurigkeit, die sie mit einem Mal überfiel, und sie schüttelte den Kopf. »Sosehr ich mir das auch wünschte – ich fürchte,
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