Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
einzelnen Blitzen brutal zerschnitten. Sie lauschte in den Regen, der herabrauschte, immer wieder übertönt vom Krachen des Donners.
Als ob die Welt unterginge … Meine Welt.
Majids Aufforderung, unverzüglich von Kisimbani in die Stadt zurückzukehren, war nicht als Bitte eines Bruders an seine Schwester zu verstehen gewesen. Es war der Befehl des Sultans an seinen Untertanen, und Salima hatte gehorcht. Drei Tage war sie nun schon wieder hier, in diesem hässlichen Haus, doch noch immer hatte Majid sie weder aufgesucht noch sie zu sich gebeten. Was Salima als kein gutes Zeichen wertete. Nicht, nachdem sie unter Getuschel und vielsagenden Blicken hier eingetroffen war. Sie zwang die Übelkeit hinunter, die in ihr aufwallte und von der sie wusste, dass sie allein von ihrer Angst herrührte. Von nichts sonst. Sie kannte den Unterschied mittlerweile.
Ihre weiße Katze, die sich in ihrem Schoß zu einem Fellball zusammengerollt hatte, streckte sich behaglich und begann mit einer Pfote auf Salimas Ärmel zu tapsen. Die ausgefahrenen Krallen verhakten sich in dem feinen Stoff und lösten sich unter leisem Knistern und leichtem Rucken wieder.
»Nicht, Liebchen«, murmelte Salima matt. »Ich mag jetzt nicht spielen. Ich bin müde.«
Mit Müdigkeit hatte es begonnen, doch Salima hatte auch alle anderen Zeichen sehr schnell zu deuten gewusst. Noch ehe eine Schwerfälligkeit ihre Glieder erfasst hatte und sie dazu zwang, sich vorsichtiger zu bewegen, ihr Leib ein Gefäß für ein kostbares Gut.
Salima trug ihr eigenes Todesurteil in sich.
Das Köpfchen der Katze fuhr auf. Sie schien zu lauschen, ins Haus hinein. Mit einem Satz war sie vom Bett herunter und um den Türrahmen herum im Dunkeln verschwunden. Jetzt konnte Salima auch die Stimmen unten hören, verzerrt durch die Geräusche des Regens und des Donnergrollens. Erschöpft vom Warten, müde von der Last der Hoffnungslosigkeit, setzte sie sich langsam auf und horchte auf die Schritte, die schwer die Treppe heraufkamen.
Gnadenlos leuchtete ein Blitz in den Raum, gerade lang genug, dass Salima einen Blick auf Heinrich erhaschen konnte, der im Türrahmen stand, barhäuptig und bis auf die Haut durchnässt.
»Ich war gerade erst in die Stadt zurückgekehrt und bin sofort nach Kisimbani hinausgeritten«, hörte sie ihn tonlos sagen. »Dort sagte man mir, du seist hier.« Er schien um Fassung zu ringen. »Ist es wahr? Ist es wahr, was wie ein Lauffeuer durch die Stadt geht?«
Salima zog die Knie an die Brust und umschlang sie fest. Ihr Schweigen war lauter als ein Donnerhall; beredter vor allem.
Schwer atmend ließ Heinrich sich auf der Bettkante neben ihr nieder. »Wann ist es so weit?«
Salima musste nicht erst nachrechnen. »In etwas über fünf Monaten.« Noch ein paar Wochen, dann lässt es sich nicht mehr verbergen. Dann wird aus dem Gerücht allzu sichtbare Wahrheit.
Heinrich nickte. Die Unterarme auf die Oberschenkel gestützt, spielte er mit seinem Hut, von dem es auf den Boden tropfte. »Warum … Warum hast du mir nichts gesagt?«
Weil Salima gehofft hatte, dass ihm geringere Schuld angelastet würde, wenn sie ihn so weit wie möglich heraushielte, und dass er vielleicht unbehelligt bliebe. Weil sie nicht wollte, dass er ihretwegen alles verlor, was er sich in diesen Jahrenauf Sansibar eigenhändig aufgebaut hatte. Weil sie plötzlich Zweifel hatte, ob es ihm wahrhaftig ernst war mit »Ich liebe dich« und »Ich will mein Leben mit dir verbringen« , und sie ihn nicht gegen seinen Willen mit dem Kind an sich ketten wollte.
Noch bevor sie ein Wort über die Lippen gebracht hatte, legte Heinrich den Arm um sie, zog sie mit dem anderen Arm an sich und hielt sie fest. Sein Atmen wurde zu einem verhaltenen Schluchzen, und er bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. »Ich wende mich an O’Swald«, murmelte er. »Dort wird man uns helfen.«
O’Swald & Co., in Hamburg gegründet, war die zweite deutsche Handelsgesellschaft gewesen, die sich auf Sansibar niedergelassen hatte, drei Jahre nach Salimas Geburt, und seit sieben Jahren stellte sie den Konsul der Hansestädte Hamburg, Lübeck und Bremen auf der Insel.
»Wir lassen uns trauen, sobald es geht. Als meine Frau werden sie dir nichts mehr anhaben können.«
Salimas Finger krallten sich in seinen triefend nassen Jackenärmel. »Heinrich, du musst mich nicht …«
»Ich will es aber«, fiel er ihr ins Wort, legte seine Stirn an die ihre. »Unser Kind ist nicht der alleinige Grund. Doch es zwingt uns, das zu
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