Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
eingestellt, dass sie einer Frau, die eine schwache Stunde gehabt hatte, zur Strafe für ihre Sünden den Tod wünschte; dafür war sie zu jung und selbst zu lebenslustig.
»Es ehrt Sie über alle Maßen, dass Sie sich Ihrer Verantwortung stellen wollen, Mr Ruete«, bekundete sie deshalb respektvoll.
Heinrich lachte auf, ein angenehmes, tiefes Lachen, das seine Gastgeberin noch mehr für ihn einnahm, und legte endlich den Silberlöffel auf die Untertasse, mit dem er während ihres Gespräches herumgespielt hatte. »Damit tun Sie mir eindeutig zu viel der Ehre an, verehrte Mrs Seward. Gewiss spielt es eine Rolle, dass ich die Verantwortung für mein Handeln und die Konsequenzen selbstredend übernehmen will, ebenso wie für die Gefahr, in der Bibi Salmé sich befindet. Aber das ist nicht der einzige Grund.«
»Sondern?« Emily Seward nahm ihre Tasse wieder auf.
Heinrich zögerte. Seine Gefühle zu zeigen oder sie zu äußern lag ihm nicht; so war er nicht aufgewachsen, so war ernicht erzogen worden. Seine Welt war die der Vernunft, rational und nüchtern und berechenbar. Zumindest war sie das gewesen bis vor einem Jahr. Salima hatte alles verändert. Sie hatte ihn verändert. Als hätte sie ihm mit ihren Küssen, mit ihrem Lachen, das ihre Augen glänzen ließ wie meerbespülte dunkle Kiesel, die Sonnenglut und die gewürzschwangere Luft Sansibars eingeflößt, die nun durch seine Adern strömten und ihn immer wieder zu ihr hinzogen. Ohne Salima in seiner Nähe war ihm sogar im heißen Sansibar kalt.
»Ich kann mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen«, sagte er schlicht.
»Haben Sie sich das mit der Heirat auch gut überlegt?«, gab sie dessen ungeachtet zu bedenken. »Sie wird es schwer haben in Hamburg.«
Emily Seward wusste, wovon sie sprach, wusste, wie es war, in der Fremde zu leben. Kaum dass sie ihrem George das Jawort gegeben hatte, war sie dem frischgebackenen Doktor der Medizin vom grausteinigen, regnerischen Edinburgh nach Indien gefolgt. Die ersten Jahre dort waren hart für sie gewesen, blutjung, wie sie damals war, und rasch überfordert mit ihren Aufgaben als Ehefrau und bald auch Mutter. In einem Land voller Hitze und Staub, dessen reiche Ströme während der Glutmonate zu tröpfelnden Rinnsalen verdunsteten. Noch dazu in der Garnisonsstadt von Baroda, in der das Leben sich nach dem Rhythmus des Soldatenlebens richtete und Wünsche und Bedürfnisse der Frauen nur eine untergeordnete Bedeutung hatten. Im Vergleich dazu war Sansibar das reinste Paradies.
Heinrich atmete tief durch. »Es soll nur vorübergehend sein. Damit sie und unser Kind in Sicherheit sind. Bis ich meine eigene Gesellschaft aufgebaut habe, die uns ernähren kann. Die Welt ist groß, und ich bin bereit, mit ihr überallhin zu gehen.«
Emily Seward sah ihn aufmerksam über den Rand ihrer Tasse hinweg an. Auch sie schätzte hoch aufwallende Emotionen und überschwängliche Gefühlsäußerungen nicht sonderlich, aber sie war romantischen Empfindungen gegenüber durchaus aufgeschlossen, wovon auch die überall in ihrem Salon liebevoll verteilten Spitzendeckchen Zeugnis ablegten. Und die Geschichte von Heinrich Ruete und Bibi Salmé, dem deutschen Kaufmann und der Prinzessin von Sansibar, die einander gefunden hatten und allen Widerständen zum Trotz zueinanderstanden, die gar ein Kind ihrer Liebe erwarteten und miteinander fliehen wollten, um gemeinsam ein neues Leben zu beginnen – das war das Romantischste, was sie je gehört hatte. Ein Märchen, wie es ein Dichter nicht zauberhafter und anrührender hätte ersinnen können.
Eines, dem nur noch das glückliche Ende fehlte.
30
Rhythmisch in die Hände klatschend, zogen die Menschen durch die Stadt, uralte Volkslieder zum Nachthimmel schmetternd, die um Glück und Segen baten, das Leben und die Liebe priesen. Zu Turbanen gewickelte kangas der Afrikanerinnen wechselten sich mit den finsteren Überwürfen der arabischen Frauen ab. Kinder, die Augen riesengroß vor Staunen, wurden durch die Menge mitgezogen oder auf der Hüfte sitzend mitgeschleppt. Männer waren nur wenige unter den Scharen, die durch das Labyrinth der Stadt wogten, flackernd beleuchtet von mitgeführten Öllichtern und Laternen.
Heute Nacht weichten die Grenzen auf zwischen Herren und Sklaven, lösten sich die Araberinnen aus den Beschränkungen, die die Tradition ihnen auferlegte. Es war die Nacht vor dem Feiertag, an dem auf allen Feuern der Insel von den Frauen Reis gekocht werden würde, während die
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