Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
Männer Maniokblätter mit Kokosnussmilch und Nüssen zubereiteten, Maniokwurzeln mit Bohnen oder Fisch, alles kräftig und scharf gewürzt, genug, dass jeder, der des Weges kam, sich sattessen konnte. Sobald das Festmahl beendet wäre, würde das Feuer sofort mit Wasser gelöscht, der Aschebrei abgeschöpft und an Kreuzwegen ausgebracht, ins Meer gegossen oder an die Rückwand von Hütten oder Häusern geschüttet.
Heute Nacht galt es, Abschied zu nehmen, Abschied von Sünden und Zwietracht und Hader; ab morgen würde alles besser werden. Heute Nacht war ein muongo zu Ende gegangen, eine Spanne, die zehn Tage umfasste. Der sechsunddreißigste muongo von sechsunddreißig, und ab morgen würden die Tage wieder von vorn abgezählt werden.
Morgen war siku ya mwaka , Neujahr. Und heute war die Nacht, in der sich Sayyida Salima bint Sa’id aufmachen würde, viel mehr hinter sich zu lassen als nur das alte Jahr. Dreizehn endlose Tage hatte sie auf diese eine Nacht gewartet.
»Geh jetzt.« Sie drückte Khaduj so fest an sich, als wollte sie sie niemals mehr loslassen. »Geh hinüber nach Beit il Sahil wie verabredet.«
Khaduj lachte leise, ein Lachen, das von Schluchzern erstickt wurde. »Der arme Majid … Er wird nicht wissen, wie ihm geschieht, wenn ich ihn ausschelte, dass er dir erlaubt hat, bis morgen Abend das neue Jahr bei deiner Freundin zu feiern.«
Ja, der »arme« Majid, dachte Salima bitter. Der mich bis gestern hat warten lassen, um erst dann gnädig meine Bettelbriefe um ein sorgloses Neujahrsfest mit seinem huldvollen Einverständnis zu beantworten. Mein letztes Neujahrsfest auf Sansibar, ehe in drei Tagen die Segel des Schiffes gehisst werden, das mich nach Mekka bringen soll.
Nur widerstrebend lösten sich die beiden Frauen voneinander.
»Ich stehe tief in deiner Schuld, Khaduj«, flüsterte Salima, das Gesicht der Schwester mit ihren Händen umschließend. Der Gedanke, dass Khaduj den Tod durch das Henkersschwert erleiden würde, sollte Majid je erfahren, welche Rolle sie bei Salimas Fluchtplänen gespielt hatte, brach ihr das Herz.
Um Khadujs geschwungenen Mund zuckte es. »Für niemanden sonst hätte ich das getan. Nur für dich, Salima bint Sa’id – die mit dem unbezwingbaren Herzen. Schwöre mir …«Ihr Atem ging stoßweise, als bräche ihr die Stimme unter zu großer Seelenlast. »Schwöre mir nur, dass du dein Leben bis zur letzten Neige auskosten wirst. Gleich, welche Prüfungen Allah dir auch auferlegen mag.«
»Ich schwöre«, flüsterte Salima, und Ingrimm drängte sich in ihre Stimme. »Bei Allah – ich schwöre!«
Khaduj strich Salima zart über das Gesicht, über die schele , die ihr Haupt bedeckte. »Der Herr des Weltalls beschütze dich, Schwester.« Mit einem Ruck wandte sie sich um und lief aus dem Gemach.
Salima lauschte in die Nacht hinaus, und ihr heftiger Pulsschlag, der ihr selbst in den Ohren dröhnte, bildete den Rhythmus zu den kräftigen Stimmen unten auf der Gasse, wurde eins mit den Trommeln der vorbeiziehenden Musiker. Thadhung-gung. Tha-dhung. Tha-dhung-gung. Tha-dhung.
»Wollt Ihr nicht langsam aufbrechen, Bibi Salmé?« Das eine ihrer beiden Dienstmädchen, die ihr noch geblieben waren, war eingetreten.
Vergebt mir, dass ich euch so grausam belüge.
Salima setzte ihr breitestes Lächeln auf. »Aber ja!«
Die askaris , die Soldaten des Sultans, schenkten ihr ein karges Kopfnicken, als sie mit ihren beiden Dienerinnen über die Schwelle trat und ihnen scheinbar fröhlich ein gutes neues Jahr wünschte. Sie ließen die drei Frauen sich unter die Menschenmenge mischen, die sich durch die Gasse schob. Salima spürte förmlich, wie sich die verächtlichen Blicke der askaris in ihren Rücken bohrten.
»Pumbavu likipumbaa p’umbe« , sang Salima aus voller Kehle mit, » fit’u usilo nadhari n’gombe. Wenn der Narr ganz närrisch wird, ist er ein großer Narr, dumm gar wie ein Ochs’.« Die altvertrauten Verse lösten ihre Anspannung. » Wat’u hawendi tena P’emba – kuna nyama mla-wat’u simba. Wir werden nichtmehr nach Pemba geh’n; dort hat’s ein Geschöpf, das Menschen frisst: ein Löwe!«
Mir jedoch bringt mein Löwe die Freiheit! Salima war so leicht zumute, dass sie den Kopf zurückwarf und lachte, ihren Dienerinnen zuzwinkerte. Da gewahrte sie einen Mann, halb in den Schatten einer Hauswand verborgen, der mit zusammengekniffenen Augen herüberstarrte. In seiner Hand blinkte etwas metallisch auf. Salima blinzelte und wandte den Blick rasch
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