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Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Titel: Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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gerade noch, aus dem dünnen Stoff ein Bündel zu knoten, das sie an die Brust presste, ehe er sie in die Höhe zog und weiterzerrte. Die Flut hatte ihren Scheitelpunkt beinahe erreicht, und am Rand der unregelmäßig gezackten Felskante schaukelte ein Boot, aus dem zwei Männer in dunklen Jacken sprangen; eine dritte Gestalt saß noch im Boot.
    Hinter Salima und Heinrich schrie eine Frau, gellend, alsjagte eine Klinge in sie hinein. Erschrocken fuhren sie herum. Es war eine der beiden Dienerinnen, die erkannt hatte, was hier vor sich ging, und die davonrannte, als ginge es um ihr Leben. Heinrichs Hand zuckte, als wollte er ihr nachsetzen; umso unerbittlicher jedoch zog er Salima vorwärts. Über ihre Schulter hinweg sah sie noch, wie Mrs Seward und Zafira das Mädchen aufhalten wollten. Wie die zweite Dienerin ebenfalls zu flüchten suchte, von einem der Matrosen aber gepackt und zum Boot geschleift wurde. Ihre Hilferufe erstarben gurgelnd hinter der Hand des Seemanns, die ihr den Mund verschloss.
    »Nicht«, entfuhr es Salima, »lasst sie gehen!«
    »Es muss sein«, presste Heinrich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Du kannst nicht allein fahren.«
    Nur ein Schritt trennte Salima noch von dem Boot. Der Seemann, der dort geblieben war, war aufgestanden und streckte ihr seine Hand entgegen.
    Nur ein Schritt noch bis zur Freiheit.
    Ein Schritt, und sie würde ohne Heinrich sein, auf ungewisse Zeit.
    »Gib auf dich acht«, murmelte er. »Auf dich und auf das Kind.« Salima konnte nur nicken. Es zerriss ihr das Herz, als er sie an sich drückte, sie noch einmal küsste.
    »Ich komme nach, sobald ich kann.«
    »Ich liebe dich«, flüsterte sie den einzigen deutschen Satz, den sie kannte.
    »Roho jangu« , war seine Antwort auf Suaheli. Seine Stimme war brüchig, wie wundgescheuert von zu heftigen, widerstreitenden Gefühlen. »Mein Atem. Meine Seele. Mein Leben.«
    » Ya kuonana – auf bald.«
    »Ya kuonana.«
    Mit sanfter Gewalt schob er sie einem der Matrosen in die Arme, der sie in das Boot hob und danach selbst einstieg.
    Sogleich stießen die Seeleute die Nussschale vom Ufer abund ruderten los. Salima behielt Heinrich fest im Blick, blinzelte die Tränen fort. Seine Gestalt, die verwackelte unter dem Schaukeln des Bootes auf den Wellen, die kleiner wurde und sich zu einem Schattenriss verflachte, während sich die winkende Silhouette von Mrs Seward und Zafira im Schatten des Hauses verlor.
    Dann war er nicht mehr zu sehen, aufgegangen in der Uferlinie aus Schemen und glühenden, tanzenden Lichtflecken. Johlen und freudige Rufe, Lachen und Gesang klangen von den Badenden herüber, die das alte Jahr von sich abwuschen; Trommelschläge, tha-tha-dhung, tha-tha-dhung. Das Meer rauschte, plätscherte gegen den hölzernen Rumpf des Bootes, gegen die Ruder, die schmatzend eintauchten und wieder herausglitten.
    Ihre Dienerin hatte erschöpft alle Gegenwehr aufgegeben und hing in den Armen des Matrosen; hinter seinen Fingern drang gedämpftes Schluchzen hervor.
    »Es tut mir sehr leid«, sagte Salima zu ihr. Ihre eigene Stimme klang ihr fremd in den Ohren, schleppend und flach. »Sobald wir am Ziel sind, kannst du zurückfahren.«
    Und ich? Werde ich je zurückkehren? Ihre Augen erfassten Beit il Sahil, ein heller Klotz vor dem Widerschein der Freudenfeuer. Beit il Sahil. Beit il Hukm. Beit il Tani. Mit ihrem Blick fuhr sie zärtlich über die Stätten ihres bisherigen Lebens. Beit il Watoro. Irgendwo weiter drüben Bububu. Beit il Mtoni. Und dahinter Kisimbani.
    Die Sehnen ihrer Hand machten sich bemerkbar, sie schmerzten vom krampfhaften Festhalten des sandgefüllten Taschentuchs, und ihre Finger wurden taub. Aber loszulassen, das vermochte sie nicht.
    Mehr Sansibar als das bisschen konnte ich nicht mitnehmen.
    Finsternis hüllte das Boot ein, und Salima legte den Kopf in den Nacken. So nah schienen die Sterne, als ob der Himmelhier tiefer wäre, eins gar mit dem dunklen, ölig schwappenden Wasser.
    hier tiefer wäre, eins gar mit dem dunklen, ölig schwappenden Wasser.
    Ich werde sie vermissen, die Sterne über Sansibar. Ich werde alles vermissen.
    In ihrem gewölbten Bauch regte sich etwas, so sacht und so leicht wie das Flattern eines Falters. Salimas Mundwinkel zuckten. Ihre andere Hand, die den Beutel mit ihrem Geschmeide unter dem Obergewand festgehalten hatte, legte sich sanft darauf.
    Ich habe es gespürt. Heinrich, ich habe unser Kind gespürt. Wir werden leben. Das Kind und ich, wir dürfen

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