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Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Titel: Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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hätte sie erst jetzt die Doppeldeutigkeit ihrer eben gesprochenen Worte erfasst.
    »Nachdem ich nun die Kleidung der Europäer trage und mich rasch daran gewöhnt habe, kann ich nicht einfach wieder in arabische Gewänder schlüpfen.«
    Wie eine Häutung war es ihr vorgekommen, die schmalen Beinkleider und die langen Obergewänder abzulegen, einzutauschen gegen allerlei Unterzeug aus dünnem Batist und gegen glockenförmige Röcke. Sie mochte es, wie sich die Stoffwolken um ihre Beine bauschten, wie sie beim Gehen gegeneinander raschelten und wie die Säume hörbar über den Boden schleiften. Die schmale Taille und die mit Fischbeinstäben verstärkten, eng anliegenden Oberteile zwangen sie zu einer aufrechten Haltung, in der sie sich fast einen Kopf größer fühlte, und schufen Abstand zwischen ihr und der Welt, sodass sie sich weniger angreifbar, weniger verletzlich fühlte. Nur mit der Krinoline, einem Gebilde aus Stahlreifen, die an festen Bändern hingen und die Rockbahnen versteiften, hatte sie sich noch nicht anzufreunden vermocht.
    »Vor allem bin ich nicht willens, das Haus der Macías’ zu verlassen.«
    Goodfellow überlegte, ob es angeraten war, der Schwester des Sultans von Sansibar, die ihm hier am Tisch gegenübersaß und das Kinn mit der Andeutung eines Grübchens derart herausfordernd emporgereckt hielt, einen Vortrag über unbotmäßigen Stolz und dessen Folgen zu halten, entschied sich jedoch dagegen. Die Erziehung junger Damen, die gedankenlos oder mit voller Absicht über die Stränge schlugen, gehörte gewiss nicht in seinen Aufgabenbereich.
    »Ich sollte Euch zudem nicht verschweigen«, verkündete er stattdessen, »dass ich von Eurem Bruder, dem hochverehrten Sultan, angehalten wurde, Euch unter keinen Umständen die Abreise nach Hamburg zu gestatten.«
    Die dunklen Augen seines Gegenübers wurden schmal; Goodfellow glaubte fast, Funken sprühen zu sehen. »Werdet Ihr versuchen, mich daran zu hindern?«
    Der Colonel hakte seine Finger ineinander und betrachtete sie angelegentlich, dann musterte er Salima lange. »Mir scheint, Ihr seid in der Tat nicht willens, Euren Schritt, Eurem früheren Leben zu entsagen und Euch gänzlich der europäischen Lebensart anzupassen, noch einmal zu überdenken. Geschweige denn, eine Umkehr in Erwägung zu ziehen.«
    »So ist es«, lautete Salimas schlichte Antwort.
34
    Keuchend erklomm Salima die Steigung. Der Pfad, der hinter den Häusern bergan führte, war schmal, grub sich zwischen zerklüfteten Felsen hindurch, die dunkel, beinahe schwarz glänzten und an manchen Stellen eine rötliche Färbung hatten. Die Luft war überladen mit Hitze und ebenso schwer wie Salimas Leib. Glühende Winde fegten immer wieder über sie hinweg und ließen ihr den Schweiß nur noch stärker aus allen Poren brechen. Der Sand, den sie mitbrachten, kratzte im Gesicht und biss in den Augen. Es war ein Gewaltmarsch, auch schon für jemanden, der nicht noch zusätzliches Gewicht mit sich herumschleppte und eine immer größere Trägheit in den Gliedern verspürte, wie Salima es tat. Noch dazu im September, einem der heißesten Monate hier in Aden, wo jede Bewegung einen Willensakt erforderte. Und doch genoss Salima jeden Augenblick dieser körperlichen Anstrengung nach all den Wochen und Monaten, die sie an ihr Haus in der Steinstadt von Sansibar gefesselt gewesen war.
    Je höher sie kam, desto leiser wurde der Lärm der Stadt, all die unzähligen Stimmen, das Klappern der Hufe und das Knirschen der Räder. Als hielte sich das Gewühl und das Gemenge dort unten selbst dazu an, den Wanderer am Berge behutsam in die Stille zu entlassen. Immer wieder machte sie Rast, umAtem zu holen, um ihren Muskeln ein wenig Erholung zu gönnen, aber auch, um auf die Stadt hinunterzublicken.
    Aden war eine neue Stadt, zum größten Teil erst in den letzten Jahren aus dem trockenen Boden gestampft. Eine von Mauern gesäumte, breite Schneise, auf der Pferdewagen und Eselskarren entlangbollerten, zerteilte die Stadt in zwei Hälften. Diesseits der doppelten Mauer schlug das bunte, laute Herz Adens, dessen Gesichter mannigfaltig waren: kaffeedunkle Somalis in groß gemusterten Wickeltüchern, rußschwarze Menschen aus dem Inneren Afrikas und kleingewachsene tiefbraune Araber aus dem Hinterland. Schlanke, langbeinige Beduinen mit einer Haut wie aus Lehm und Sand; bronzeglänzend die Gesichter der Inder; betörend bunt wie Schmetterlinge die saris ihrer Frauen. Anders als in Sansibar ging es in Aden

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