Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
schnell und hektisch zu. Auf den farbenfrohen Märkten und in den zur Straße hin offenen Läden, an denen schwer bepackte Kamele vorbeistolzierten. Vor den arabischen Häusern aus weißem oder rötlich bemaltem Kalkstein, deren Erker aus fein durchbrochenem Holz auf die breiten Straßen hinaussahen; vor den Häusern der Inder, die gleichermaßen trutzig wie verspielt-luftig wirkten. Die Kuppeln der Synagogen und Moscheen, die zierlichen Aufbauten indischer Tempel lockerten die Strenge der Straßenzüge auf, und die Minarette reckten sich wie mahnende Zeigefinger aus dem steinernen Meer empor.
Die Häuser hier kamen Salima seltsam niedrig vor, was ihr zusammen mit den großzügig angelegten Straßen einen Eindruck von Weite und Unendlichkeit vermittelte. In krassem Gegensatz dazu stand, dass Aden doch ringsum durch eine karstige schwarze Felswand begrenzt war, »Krater« genannt, die die Stadt in ihrer überwältigenden, hoch aufragenden und unbeweglichen Umarmung einschloss. Jenseits der sich dahinschlängelnden Mauern und vor der wie von der Hand einesRiesen in den Krater geschlagenen Kerbe, durch die man ein vorgelagertes nacktes Inselchen im schillernden Meer sehen konnte, erstreckte sich der andere Teil der Stadt. Schnurgerade Straßen trafen im rechten Winkel aufeinander, in deren Gittermuster Bungalows angeordnet waren, einander gleichend wie ein Ei dem anderen. Größere, in der Sonne blendend weiße Häuser mit Säulen und Rundbögen reihten sich aneinander, auf schnörkellose Art prächtig vor den Baracken, deren strohgedeckte Walmdächer auf Wänden aus Holz und Stein ruhten und die die Ställe, Lagerräume und Stauräume beherbergten. Dies war das Camp der Briten, wie es noch immer genannt wurde, obwohl seine Gründung schon lange zurücklag und es sich zu einer wahrhaftigen Garnison entwickelt hatte, über der der blau-rot-weiße Union Jack flatterte. Eine gleichförmige Ansammlung zweckmäßiger Bauten, auf die ein alter Turm hinabsah, der einmal ein Minarett gewesen sein mochte oder für Leuchtfeuer genutzt worden war. Die Soldaten der Krone versprachen Salima den Schutz, dessen sie so dringend bedurfte. Majid streckte zwar seine Hände nach ihr aus, gleichermaßen lockend wie drohend, doch hier in Aden würde er sie nicht zu fassen bekommen.
Der steile Weg bergan kroch durch eine Umfriedung hindurch, und Salima war am Ziel: ein runder Turm, niedrig und plump, ohne Fenster und mit einem türlosen Eingang, der kaum mehr war als eine Aussparung im Mauerwerk. Stöhnend schlüpfte Salima aus den Schuhen, löste die Bänder ihres Sonnenhutes und nahm ihn ab. Am Fuß des Turmes ließ sie sich niedersinken, breitbeinig und mit unter den weiten Röcken angezogenen Knien, so wie es ihr gewölbter Bauch zuließ. Den Rücken an den sonnendurchwärmten Stein gelehnt, wartete sie, bis ihr Herzschlag und ihr Atem sich beruhigt hatten.
Turm des Schweigens oder Turm der Stille wurde dieses Bauwerk genannt, das von der Stadt aus nur als heller Fleck imdunklen Gestein wahrzunehmen war, unscheinbar und wenig augenfällig. Schaudernd hatte Señora Macías ihr erzählt, dass die Parsen Adens ihre Toten hierherbrachten, damit Sonne und Wind und die schwarzen Vögel, die oben am Himmel ihre Kreise zogen, sie dem ewigen Kreislauf des Lebens zurückgaben. Salima konnte den Abscheu ihrer spanischen Gastgeberin nicht nachvollziehen. Trotzige Neugierde war es, die sie das erste Mal hier hinaufgetrieben hatte; der Reiz herauszufinden, wie weit sie es wohl schaffen würde mit ihrem angeschwollenen Leib. Gefunden hatte sie einen Ort, der ihr heilig zu sein schien, durchtränkt von der Zeit, von Herzensregungen und von einer flüchtigen Ahnung der Ewigkeit.
Salimas Finger, die sich zu beiden Seiten durch die rauen Grashalme kämmten, über den festgebackenen steinigen Boden wanderten, ertasteten etwas Kleines, Hartes, Ovales, das halb in der mageren Erde steckte, und zogen es heraus: ein Metallplättchen, nicht größer als ein Fingernagel, mit einer winzigen Öse; vermutlich aus Silber, von den Elementen matt geschliffen, geschwärzt und vernarbt. Salima drehte es in den Fingern, dann übergab sie es behutsam wieder dem Boden.
Sie schloss die Augen und ließ den Kopf an der Mauer ruhen, genoss Sonne und Wind auf ihrem bloßen Gesicht. Dies war ein Platz, der viel gesehen und viel erlebt hatte und doch stets derselbe geblieben war; Salima hatte das untrügliche Gefühl, als sei sie nicht die Erste, die hierherkam, um Stille zu
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