Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga
einen verletzten Vogel. »Ich bin davon überzeugt, dass das nicht das Ende ist. Sie werden sich doch nicht unterkriegen lassen, oder?«
Da war noch etwas, was er sagen wollte, dessen war sich Ricarda sicher. Aber sie war zu schwach, um sich darüber Gedanken zu machen.
»Nein, natürlich nicht«, antwortete sie und lehnte sich zurück.
Jack erkannte, dass sie Ruhe brauchte, und kletterte auf den Kutschbock.
Ruckelnd setzte das Fahrzeug sich in Bewegung. Eine Weile betrachtete Ricarda die Baumkronen über sich, durch die das Sonnenlicht fiel. Dann jedoch schloss sie die Augen. Die Geräusche des Waldes mischten sich mit denen des Pferdes und des Wagens. Die Schmerzen zerrten nun wieder stärker an ihr, aber sie wollte Jack nicht bitten anzuhalten. Sie klammerte sich an seine tröstenden Worte wie an einen rettenden Baumstamm in der Flut. Es würde ein Danach geben. Auch wenn jetzt alles verloren schien, sie würde weitermachen. Es gab kein Zurück. Sie hatte ihre alte Heimat aufgegeben, um sich hier eine neue Zukunft aufzubauen. Sie musste es schaffen!
Preston Doherty stand vor seinem Fenster und blickte auf die dünne Rauchwolke, die noch immer am anderen Ende der Stadt in den Abendhimmel stieg. Obwohl er äußerlich vollkommen ruhig wirkte, tobte es in seinem Inneren. Der Verdacht, dass es sich bei dem brennenden Gebäude um die Praxis von Ricarda Bensdorf handelte, ging ihm nicht aus dem Kopf. Sollte Borden tatsächlich so weit gegangen sein? Wenn er die Praxis wirklich in Brand gesetzt und die Frau dadurch getötet hatte, hatte er den Bogen eindeutig überspannt. Zwar wusste man von dem Gezeter, das Borden wegen seiner tripperverseuchten Huren gemacht hatte. Aber gewiss erinnerten sich auch einige Leute an den Streit zwischen der Ärztin und ihrem eingesessenen Kollegen. Früher oder später würden die Constables hier aufkreuzen, da war er sicher. Spätestens dann, wenn der Bordellbesitzer einknicken und behaupten würde, dass Doherty ihn angestiftet habe.
Er musste Borden zur Rede stellen und sich vor allem versichern, dass er seine Hände in Unschuld waschen konnte. Immerhin hatte er deutlich gesagt, dass Ricarda Bensdorf nicht sterben solle.
Nachdem er noch eine Weile aus dem Fenster gestarrt hatte, verließ er sein Sprechzimmer.
»Gibt es etwas, Schwester?«, fragte er Clothilde, die ihm im Flur entgegeneilte.
»Nein, es ist alles in Ordnung. Keine besonderen Vorkommnisse an diesem Nachmittag. Ich wollte mich eigentlich erkundigen, ob Sie einen Kaffee möchten, Herr Doktor.«
Doherty schüttelte den Kopf. »Nein, danke, ich werde mal nachsehen, wo es brennt. Vielleicht braucht man dort meine Hilfe.«
Die Französin sah ihren Chef verwundert an. Es war noch nie vorgekommen, dass er sich an einen Unglücksort begeben hatte. Er wartete immer im Hospital auf die Patienten.
Draußen wehte eine frische, feuchte Brise vom Meer heran. Die Wolken hatten sich zusammengeballt und versprachen Regen. Den hatte die Stadt auch bitter nötig, denn es lag so viel Staub in der Luft, dass er zwischen den Zähnen knirschte und durch alle Ritzen in die Häuser drang. Ein Regenguss würde die Luft klären.
Mit der Arzttasche in der Hand strebte Doherty dem Stadtkern zu. Dabei hatte er das Gefühl, dass viele Leute ihn seltsam anstarrten. Oder bildete er sich das nur ein? Er erkundigte sich bei einem Passanten, den er nicht namentlich kannte, nach dem Feuer.
»Die Praxis der neuen Ärztin brennt«, antwortete der.
Doherty wusste nicht, was ihn mehr entsetzte. Dass seine Vermutung stimmte oder die Tatsache, dass der Mann von der Ärztin gehört hatte, ihn, den alteingesessenen Arzt der Stadt, jedoch keineswegs zu kennen schien. Er verzichtete auf weitere Fragen und lief weiter, ohne dem Passanten für die Auskunft zu danken.
Als er in der Nähe des Bordells war, fuhr der Feuerwehrwagen an ihm vorbei. Offenbar hatte Asher Asher, der Feuerwehrchef mit dem ebenso seltsamen wie bezeichnenden Namen, die Lage unter Kontrolle gebracht. Da es immer noch qualmte, war von dem Gebäude vermutlich nicht mehr viel übrig geblieben.
Doherty überlegte, ob er zum Brandherd eilen solle. Immerhin war es möglich, dass die Frau verletzt war. Doch dann entschied er sich dagegen. Wenn die Feuerwehr bereits dort gewesen war, hatte man sie entweder bereits ins Hospital oder zum Totengräber gebracht. Der Doktor beschleunigte also die Schritte und trat wenig später durch die Tür des Bordells.
Der Skandal, den Ricarda Bensdorf
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