Sternen Stroemers Lied - Unter dem Weltenbaum 02
genauso wenig zaubern konnte wie eine ganz normale Frau. Seiner Liebe zu ihr hatte das nicht im geringsten geschadet. Aber nun hatte er einen Sohn dazubekommen, und noch dazu einen, aus dem einmal ein großer Zauberer werden würde. Sternenströmer mußte ihn nur finden. Abendlied, die sich immer schon leicht von Gefühlen mitreißen ließ, war nun eifersüchtig.
Sie hatte große Achtung vor Aschure bekommen und bewunderte sie grenzenlos. Während sie und Goldfeder zitternd im Baum gehockt hatten, war die Menschenfrau aufgestanden, hatte sich gegen die Angreifer zur Wehr gesetzt und so das Blatt der Schlacht gewendet. Und ebenfalls Sternenströmers Leben gerettet. Kein Aware oder Ikarier hatte soviel Mut und Entschlossenheit aufgebracht. Abendlied wußte auch, daß viele Kämpfer der Luftarmada sich deswegen schämten. Während sie in die Luft aufgestiegen waren und ohnmächtig das Gemetzel verfolgt hatten, war es der Acharitin gelungen, den anderen zu zeigen, wie Skrälinge sich besiegen ließen. Während der nächsten Tage würden die Geschwaderführer etliche Gewissensbefragungen durchzuführen haben.
Rabenhorst ärgerte sich maßlos, sowohl über seine eigene mißliche Lage während des Angriffs, die es ihm nicht erlaubt hatte einzugreifen, als auch über die Unfähigkeit seiner Befehlshaber. Wem nütze schon eine Luftarmada, hatte er heute morgen gebrüllt, als er die Reihen der angetretenen Luftkrieger abgeschritten hatte, wenn diejenigen, die sie schützen sollten, einfach abgeschlachtet würden? Seien die Soldaten nicht gerade für einen Angriff wie den in der letzten Nacht ausgebildet worden? Aber der Oberbefehlshaber hatte rechtzeitig innegehalten, um seine Soldaten und Offiziere nicht in Grund und Boden zu verdammen. Die Ikarier lebten ebenso wie die Awaren schon so lange in Frieden, daß sie vollkommen vergessen hatte, wie man einen Gegner erst aufhält und dann in einem Gegenangriff zurückwirft. Rabenhorst wußte auch, daß er die Hauptverantwortung dafür trug, daß so viele Waldläufer und Vogelmenschen ihr Leben verloren hatten.
Der Ikarier liebte seinen Bruder zwar sehr, aber es beschämte ihn, daß es Sternenströmer gewesen war, der die Ehre des Hauses Sonnenflieger gerettet hatte. Gemeinsam mit dem Awaren Ramu war es ihm gelungen, den Erdbaum zu erwecken, der seitdem ununterbrochen für den Hain und das gesamte nördliche Awarinheim sang. Sein Lied hatte den Überfall der Skrälinge zunichte gemacht und die Angreifer geschlagen. Doch bis seine Stimme erklungen war, hatten die versammelten Awaren und Ikarier bereits einen sehr hohen Preis zahlen müssen.
Viele Hundert hatten den Tod gefunden. Vor allem die Awaren, zum einen, weil sie sich nicht vom Boden erheben konnten und zum anderen aufgrund ihrer Verachtung von Gewalt. Heute abend würden die beiden Völker einen großen Scheiterhaufen errichten und die Gefallenen dem Fluß des Todes übergeben. Die Awaren würden darum beten, daß die ihren die Pfade des Geheiligten Hains erreichten, die Ikarier darum, daß ihre Toten sich des Sternenlieds erinnerten, damit ihre Seelen einmal zwischen den Sternen wiedergeboren würden.
Aschure bemerkte, daß Abendlied sie beobachtete. Die junge Ikarierin beeindruckte sie, und sie hoffte, bald die Gelegenheit zu erhalten, sie besser kennenzulernen. Doch zur Zeit ging das nicht. Die allgemeine Trauer verbot, neue Freundschaften zu schließen. Fleats Tochter Hogni war von den Geistern ebenso getötet worden wie Pease. Fleat hatte mehr Glück gehabt, da sie den Kinderzug in den Süden des Waldes begleitet hatte. Hoffentlich waren sie nicht in einen Hinterhalt geraten. Obwohl Awaren wie Ikarier sich überschwenglich bei ihr bedankt hatten, fühlte Aschure sich jetzt noch ausgeschlossener als vorher. Sie senkte den Blick auf ihre Hände.
Die Acharitin wußte nicht, was sie nun anfangen sollte. Pease war ihre stärkste Verbindung zu der Sippe gewesen, aber Pease weilte nun nicht mehr unter ihnen. Die Erinnerung an ihre schmerzerfüllten Augen, als sie hilfesuchend die Hand nach ihr ausgestreckt hatte, würde Aschure wohl nie mehr verlassen. Da saß sie nun unter dem Erdbaum, sah lieber nur auf ihre Hände, und während sie versuchte, das getrocknete Blut unter ihren Fingernägeln zu entfernen, dachte sie über ihre Zukunft nach.
Rabenhorst ließ sich neben seinem Bruder nieder. »Sternenströmer, könnt Ihr sprechen?«
Der Zauberer streckte eine Hand aus, und der Krallenfürst half ihm auf. Barsarbe hatte
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