Sternen Stroemers Lied - Unter dem Weltenbaum 02
alle seine Wunden versorgt, aber sein Oberkörper sah immer noch furchtbar aus. Aschure zuckte mitfühlend zusammen, als der Ikarier sich stöhnend hinsetzte. Sein Gesicht war eingefallen, und die Wunden fühlten sich jetzt noch schlimmer an als vorher, im offenen Zustand. Die Zauberin hatte ihm viele Federn aus den Flügeln reißen müssen, um an die dortigen Wunden heranzukommen. Sternenströmer war in seiner Eitelkeit deshalb mindestens ebenso schwer verletzt wie sein Oberkörper.
»Ja«, sagte der Zauberer und hoffte, nicht zu sehr zu krächzen, »wir müssen miteinander reden.«
Rabenhorst aber schwieg für einen Moment, schaute nachdenklich zu Boden und wandte sich dann ohne Umschweife an seinen Bruder: »Wieviel Schaden haben die Kreaturen wirklich angerichtet?«
Sternenströmer wußte, daß der Befehlshaber sich nicht nach der Zahl der Toten erkundigte. Er holte tief Luft und zuckte zusammen, weil sein verletztes Fleisch dabei noch sehr schmerzte. »Großen Schaden, Rabenhorst, aber es hätte schlimmer sein können. Wir konnten die Jultidenriten nicht zu Ende durchführen, aber die Skräbolde gaben erst den Befehl zum Angriff, nachdem wir den Feuerkreis entzündet hatten. Die Sonne wurde also wiedergeboren und ist ja heute auch schon aufgegangen. Aber sie ist schwach und wird bis zum Frühjahrstauwetter nur langsam an Kraft gewinnen. Vielleicht reicht sie dann nicht aus. Die Erde muß sich gewaltig anstrengen, ihre Decke aus Eis und Schnee zu durchbrechen. Doch laßt Euch gesagt sein, Bruder, daß es noch viel furchtbarer hätte kommen können. Wenn es uns nicht gelungen wäre, den Feuerkreis zu entfachen, würde uns womöglich ewiger Winter bevorstehen.«
Rabenhorst nickte düster. »Gorgrael hat also einen Erfolg errungen.«
»Aber nicht unbedingt den, den er sich erhoffte«, bemerkte Freierfall, der neben seinem Vater stand. Der junge Prinz bereitete sich schon darauf vor, eines Tages sein Erbe anzutreten. Schon seit ein paar Jahren nahm er an allen Ratssitzungen seines Vaters teil, und gelegentlich wurden ihm einige der Aufgaben übertragen, die einmal zu seinen Herrscherpflichten gehören würden. Viele sahen in Freierfall jemanden, der das Zeug zu einem großen Krallenfürsten in sich hatte. Anders als sein Vater ließ er es nicht zu, daß seine angeborene Überheblichkeit ihn daran hinderte, die richtige Entscheidung zu treffen.
Der Sternenströmer nickte beiden zu, Bruder und Neffen. »Ihr habt beide recht. Gorgrael hat sich sicher einen größeren Erfolg gewünscht. Wenn die Skrälinge seine Befehle strikt befolgt hätten, würde der Winter nun ganz Awarinheim mit seinem Eispanzer überziehen und ich befände mich in der Gewalt des Zerstörers.«
Goldfeder, die bis jetzt geschwiegen hatte, fragte erschrocken: »Was soll das heißen?«
»Ich fürchte, ich bin der Grund dafür, daß die Geisterwesen uns angegriffen haben. Gorgrael wollte mich gefangennehmen, vorzugsweise lebend.«
»Warum?« fragte Rabenhorst und warf einen kurzen Blick auf Weitsicht, der sich gerade zu ihnen gesellte. »Warum will der Zerstörer Euch lebend haben?«
Goldfeder spürte das Schaudern, das durch Sternenströmer fuhr, als sie seine Schultern stützte. »Weil jeder Zauberer von seinen Eltern ausgebildet werden muß«, antwortete er mit gepreßter Stimme. »Und ob uns das nun gefällt oder nicht, Gorgrael ist genauso ein ikarischer Zauberer wie der Sternenmann.«
»Das verstehe ich nicht ganz«, sagte Freierfall. »Wenn der Zerstörer von Euch ausgebildet werden will, woher hat er dann all die Fähigkeiten und die Macht, über die er bereits verfügt?«
»Als Barsarbe mir die Wunden zusammennähte, habe ich mich das auch gefragt. Wenigstens konnte ich auf diese Weise meine Gedanken von den Schmerzen ablenken. Alle Zauberer beziehen ihre Macht aus der Musik des Sternentanzes, aus der Musik, die die Sterne spielen, wenn sie über den Himmel ziehen.« Rabenhorst und Freierfall nickten.
»Aber ich glaube«, fuhr der Zauberer fort und betrachtete dabei die Runde, die sich um ihn versammelt hatte. Sein Blick blieb kurz an Aschure hängen, die kummervoll am Rand saß, »daß Gorgrael seine Stärke auch aus einer anderen Quelle bezieht. Vermutlich aus dem Mißklang, der ebenfalls zwischen den Sternen vorhanden ist. Disharmonien entstehen, wenn die Sterne aus dem Takt geraten, wenn sie aufeinanderprallen oder wenn sie den Tanz vergessen und dann zu roten Riesen anschwellen und explodieren. Am Himmel existieren zwei Arten
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