Sternen Stroemers Lied - Unter dem Weltenbaum 02
Nordosten erstreckten sich die Eisdachalpen. Von hier aus waren sie viel deutlicher zu erkennen als noch in Sigholt, auch wenn die meisten Gipfel unter der niedrigen Wolkendecke verborgen lagen. Der Krieger betrachtete sie und kniff die Augen zusammen, um trotz des Schneegeflimmers der Ebene etwas sehen zu können. Das Gebirge stieg übergangslos aus dem flachen Land auf. Felsklippen und tiefe Schluchten überzogen die breiten Hänge wie Narben.
»Es heißt«, bemerkte Magariz hinter ihm, »das Leben in den Bergen sei unvorstellbar öde. Selbst die Flüsse bestünden dort aus Eis. Als ich einmal nach Gorken beordert wurde, erzählte mir ein alter Schäfer, er sei mit seiner Herde eines Tages so nahe an die Berge herangekommen, daß er das Knirschen, Stöhnen und Reißen der Flüsse auf ihrem Weg durch die Schluchten deutlich hören konnte.«
Axis drehte sich zu ihm um. Der Fürst hatte darauf bestanden, mit ihm zu reiten. Als sowohl Bornheld als auch der Axtherr ihn davon abbringen wollten, entgegnete er, daß es verrückt sei, einen Offizier mit einer Patrouille zu betrauen, der sich draußen in den Schneefeldern noch nicht auskenne und auch den Geistern noch nicht begegnet sei. Da sei es doch klüger, ihm einen erfahrenen Mann an die Seite zu stellen. Die Verwundungen, die Magariz davongetragen hatte, behinderten ihn kaum, sobald er im Sattel saß. Axis war jedoch aufgefallen, daß er von Zeit zu Zeit die behandschuhte Linke an die Wange hob, um die Narbe zu bedecken.
Hinter dem Fürsten ritten Belial, Arne und fünfzehn Soldaten, sowohl Axtschwinger als auch Kavalleristen aus dem Reichsheer. Axis hatte es nicht gern gesehen, daß auch Belial sich ihm anschließen wollte, und ihm mit schneidender Stimme erklärt, als sein Stellvertreter habe er kein Recht, sein Leben ebenfalls bei dieser Unternehmung aufs Spiel zu setzen. Der Leutnant hatte ihm zugehört und war dann einfach auf sein Pferd gestiegen. Belial hatte deutlich erkannt, wie nahe ihm die Wiederbegegnung mit Faraday gegangen war, und er wußte auch, daß Axis in der Nacht kein Auge zugetan und sie, in eine Decke gehüllt, oben auf der Festungsmauer verbracht hatte. Stundenlang hatte der Krieger von dort die Eisdachalpen betrachtet. Belial wußte schon lange, daß Axis mehr für die junge Schöne empfand, aber bis gestern hatte er nicht geahnt, wie tief diese Gefühle waren. Deswegen dachte er gar nicht daran, im Lager zu bleiben und sich vor Sorge um seinen General um den Verstand zu bringen. Da wollte er doch lieber an seiner Seite bleiben.
Auch Arne hatte sich von Axis’ Einwänden nicht beeindrucken lassen. Seine sauertöpfische Miene schien jetzt durch die Kälte unverrückbar festgefroren zu sein. Seit vielen Wochen schon, eigentlich seit sie den Wald der Schweigenden Frau verlassen hatten, fühlte Arne sich offensichtlich veranlaßt, seinen Axtherrn zu beschützen. Ständig hielt er ihm den Rücken frei und suchte unablässig in den Mienen der Männer Axis’ nach Anzeichen von Verrat. Viele betrachtete der Offizier mit Argwohn, und manchmal brach ihm sogar der Angstschweiß aus, wenn der Krieger sich in Gesellschaft zu vieler Fremder befand.
Bornheld hatte nichts dagegen, daß Belial und Arne den Axtherrn begleiten wollten, sondern es freute ihn sogar, daß sie dessen Einwände nicht weiter beachteten. Die Autorität seines Stiefbruders schien bereits zu wanken. Dabei begriff der Herzog einfach nicht, daß Arnes und Belials Verhalten nicht von Ungehorsam herrührte, sondern aus dem dringenden Wunsch, eher an seiner Seite zu sterben, als mit seiner Leiche heimzukehren. Bornheld hingegen hätte solche Hingabe von seinen Offizieren niemals erwarten können, erst recht nicht von Gautier.
Alle Soldaten auf Streife trugen weiße und hellgraue Uniformen. Selbst Axis hatte seine schwarze Uniform gegen das Grauweiß der Axtschwinger vertauscht. Schließlich wollte hier draußen niemand mehr als nötig auffallen. Unter den Umhängen trugen sie ihre Rüstung, obwohl sie gegen die Geister nicht sonderlich schützte. Trotz der Kälte hatten die Männer die Mäntel aufgeschlagen, um jederzeit an ihr Schwert oder ihre Axt gelangen zu können. Sie bewegten die Finger unablässig in den Handschuhen, damit sie nicht starr wurden. Jeder einzelne in dieser Gruppe war aufs äußerste angespannt und wachsam.
Fünf Reiter führten brennende Fackeln mit. Magariz verteilte sie strategisch im Zug, während Axis darauf achtete, daß die Gruppen stets zusammenblieben.
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