Sternen Stroemers Lied - Unter dem Weltenbaum 02
der Prophezeiung, was passierte hier? Vorsichtig näherte sich die Wächterin der Schale und achtete darauf, sie nicht zu berühren. So lange das grüne Licht pulsierte, bestand die Verbindung und durfte nicht unterbrochen werden.
Faraday lief durch das Licht, spürte seine Macht in ihrem Innern und fühlte die Liebe, die sie von allen Seiten umgab. Sie lachte und hüpfte, weil sie sich so frei und lebendig fühlte. Aber schließlich besann sie sich auf die Erhabenheit dieses Wunders, und sie schritt würdiger aus. Vielleicht gefielen der Mutter solche Auftritte nicht. Aber wer vermochte in ihrer Nähe keine unbändige Freude zu verspüren?
Das Licht veränderte sich vor ihr. In ihm bildeten sich Formen und Schatten. Ihre Füße wandelten nun über Gras, über den Pfad, der zum Heiligen Hain führte. Faraday fühlte sich so glücklich, daß sie ein kleines Liedchen vor sich hin summte, das ihr gerade in den Sinn gekommen war. Bäume entstanden vor ihr, und über ihr wirbelten die Sterne in ihrem gottgefälligen Tanz. Die Edle hätte vor schierer Freude die ganze Welt umarmen können und wollte diesen Ort nie wieder verlassen. Wie im Rausch schritt sie weiter.
Dann erreichte Faraday den Heiligen Hain. Das sanfte Wispern des Winds streichelte sie beim Gehen. Macht erfüllte sie, und Schemen huschten durch die dunklen Schatten hinter den Bäumen. Dieser Ort kannte weder Furcht noch Abscheu, nur Frieden und Glück. Am anderen Ende des Hains tauchte einer der Gesegneten Gehörnten auf. Der mit dem silbernen Fell, der sie damals schon begrüßt und ihr die Holzschale überreicht hatte. Auch heute hieß er sie willkommen, legte ihr die Hände auf die Schultern und strich ihr mit seiner pelzigen Wange über das Gesicht.
»Baumfreundin. Wir haben lange gewartet, daß Ihr zu uns zurückkehren würdet.«
Faraday traten sofort Tränen in die Augen. »Verzeiht mir, Gesegneter, aber alles war so schwierig für mich.«
Der Gehörnte fuhr mit seiner feuchten Nase durch ihr Haar. »Das weiß ich doch, mein Kind. Wir waren nie fern von Euch und wissen daher, was Ihr für die Mutter und damit für die Prophezeiung getan habt.«
Er drehte sie leicht zur Seite. »Baumfreundin, bei diesem Besuch möchte die Mutter Euch auch begrüßen. Seht Ihr? Dort wartet sie schon. Geht in Frieden und Liebe zu ihr.« Und damit zog der Gehörnte sich zurück.
Das Mädchen schaute in die angegebene Richtung. Dort führte ein Pfad aus dem Wäldchen hinaus. Wie eigenartig, wo war er bloß so plötzlich hergekommen? Er zog sich hin bis in den nachfolgenden Wald, und an seinem Ende angekommen, empfingen Faraday Wärme und Liebe, Licht und Geborgenheit. Und hier wartete auch eine Frau, die auf den ersten Blick unbestimmbar wirkte. »Mutter«, flüsterte die Edle ehrfürchtig.
Das Licht wurde zunehmend strahlender, und Faraday mußte schließlich vor dem grellen Schein die Augen schließen. Hitze brannte auf ihrer Haut, als stünde sie in einem südlichen Land unter der Mittagssonne.
»Tochter«, sagte eine Frauenstimme, und feste, warme Hände ergriffen die ihren. »Kommt in meinen Garten.« Der Eindruck von sengender Hitze und stechendem Licht verging mit einem Mal, und das Mädchen konnte die Augen wieder öffnen.
Vor ihr stand eine Frau von mittleren Jahren mit einem freundlichem Gesicht. Ihr leicht angegrautes Haar fiel lockig herab. Sie hatte fröhliche blaue Augen, und als sie lächelte, wurden ihre elfenbeinweißen Zähne sichtbar. Die Mutter trug ein weich fallendes hellblaues Gewand, das sie in der Mitte mit einem regenbogenfarbenen Band gegürtet hatte. Hinter ihr breitete sich der schönste Garten aus, den Faraday je zu Gesicht bekommen hatte. Gepflegte Wege führten durch Blumenbeete mit Blüten in allen erdenklichen Formen und Farben. Hohe Bäume schützten diese Pflanzen mit ihren Ästen vor der Sonne. Unsichtbare Bäche plätscherten, Vögel und Insekten tschilpten und summten. Bänke standen einladend unter Bäumen und auf Wiesen und der ganze Garten strömte Güte und Freundlichkeit aus.
»Mutter«, lächelte das Mädchen.
»Der Gehörnte mag Euch Baumfreundin nennen, andere sagen Gemahlin oder Geliebte zu Euch, ich aber werde Euch mit Tochter anreden.«
»Herzlichen Dank, Mutter«, entgegnete Faraday mit Tränen in den Augen.
»Kommt, meine Tochter.« Die Mutter nahm ihren Arm und führte sie gemächlich einen der Fußwege entlang. »Ich möchte mich gern mit Euch unterhalten.« Doch trotz dieser Ankündigung schritten sie
Weitere Kostenlose Bücher