Sternendieb - Roman
und zermalmte alles, was ihr unterkam. Saft und Blut regnete auf ihre zerbeulte Hülle. Ringsum hysterisches Geschrei und panisches Gezeter.
Und dann war es vorbei.
Das geschundene Schiff lag regungslos im Zwielicht der wuchernden Vegetation. Die qualvolle Hitze darin stieg sprunghaft an. Durch Sprünge im Plexiglas und Haarrisse im Metall sickerten schweflige Dämpfe.
Es war vorüber. Die Alice Liddell war gestrandet.
Mitten im Dschungel.
Irgendwo auf der Venus.
TEIL VIER
In den Fängen der Liebesgöttin
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Nur wenige wissen heute noch, dass der Planet Venus nach einer antiken Göttin der Liebe benannt ist. Wir, vor allem jene, die schon da waren, können dem Ort jedoch kaum etwas Liebenswertes abgewinnen.
Die Venus ist nie eine ernsthafte Kandidatin für die Kolonisation gewesen, nicht einmal in den Jahren des Großen Aufbruchs, als viel verrücktere Projekte diskutiert wurden. Die glühenden Kontinente und tranigen, widerspenstigen Meere zu zähmen ist ein Unterfangen, von dem alle rasch Abstand nahmen, bis auf die Unverbesserlichen und die Narren. Eine ganze Welt hat man schlichtweg aufgegeben und den Verehrern bizarrer und extremer Verhältnisse überlassen. Für solche romantischen Abenteurer bietet Vulcan Tours nach wie vor seine berüchtigten monatlichen Exkursionen an. Doch selbst die Safarischiffe machen nicht den Versuch, auf dieser widernatürlichen und lebensgefährlichen Welt zu landen, an deren Himmel die Sonne rückwärtskriecht und dabei kaum von der Stelle kommt.
Nicht, dass das Antlitz der Venus nicht reizvoll wäre, zumal auf den ersten Blick. Ihre eitrige, gärende Atmosphäre ist so dicht, die Luft so nass und getrübt, dass jede Klimazone einen besonderen Farbflecken beisteuert, schimmernd und changierend, während der monströse Tag heraufdämmert, sein Klimakterium ausbrütet und wieder vergeht. Die Venus ist ein Chamäleon mit der Variationsbreite von Pfau, Eisvogel und Schmetterling. Am leuchtenden Saum der Venus, vor dem trägen, schwelenden Terminator, erwacht Niobe, getönt in den Farben von Aprikosen und Malven,
während weiter weg Eisila bereits wie ein junges Feuer glüht, besudelt mit den dunklen Schlieren von Gewitterwolken. Im weißen Glast eines unbeschreiblichen Mittags lodert wie geschmolzenes Gold das Mare Evita Peron, weißglühend und dampfend. Das Jezebel-Becken ist eine Pfütze aus türkisfarbener Tinte mit chromgrünen Schaumflecken. Die Planitia Perelandra döst vor sich hin, ausgestreckt unter dem lähmenden Nachmittag, das klamme Hochland ein Gefunkel wie von Nadeln und Splittern eines zerschellten Regenbogens. Den Abend belagert Asteria, die runzligen Nebelfelder wie polierte Bronze unter der tief stehenden Sonne.
Über den weiß verschleierten Hängen von Nokomis ist die Nacht blau, ultramarinblau, schwarzblau. Man wendet sich benommen und atemlos vom Aussichtsfenster ab und blickt auf die Uhr. Man hat eine ganze Stunde lang hinausgestarrt, und die Stunde ist wie ein Augenblick verflogen. Wer jung und enthusiastisch ist und empfänglich für Blendwerk, dem mag die Venus in ihrer verzehrenden Schönheit verheißungsvoll erscheinen. Wer etwas älter und nicht so schnell bereit ist, eine Welt nach ihrer betörenden Larve zu beurteilen, wird staunen und seufzen, aber nicht vergessen, welch raue und verhängnisvolle Realität hinter einer so üppig strotzenden und bunten Fassade lauern kann.
Und er tut gut daran.
Auf der Venus speien die gigantischen Vulkane der Beta Regio ihren lodernden Auswurf an die zerfressenen Strände aus erstarrter grauer Lava. Gen Westen, jenseits des Gebirges, öffnen sich leergefegte Schieferebenen auf quälende Wüsten aus schlittrigem und berstendem Kies, der über Tag gesotten wird und nachts vereist. Gen Norden, im Kessel der Mnemosyne, toben unausgesetzt schwefelsäurehaltige Wirbelstürme durch die morastigen Täler. Gen Süden, in Phoebe und Themis, schwitzen zottige, knäuelartige Mangrovenwälder ihr Gift in saure grüne Sümpfe. Nach Süden zu
liegt die Guinevere-See, wo sich räuberische Riesenschlangen aus den zinnfarbenen Fluten werfen, um Sandhaie zu verschlingen, die sich aus ihren Höhlen wagen.
In den Polarregionen und Wüsten gibt es kein Leben, kann es keins geben. In der tiefen, unnachgiebigen Kälte sintern die gefrorenen Stoffe und werden ausgefällt und wieder aufgerührt in einem Hexenkessel, in dem die Materie keine Zeit hat, fest, flüssig oder gasförmig zu sein. Die Polarregionen der Venus sind eine
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