Sternendieb - Roman
Gerenne, Marco brüllte laute Befehle. Niemand hörte auf sie.
Sie wollte nicht weg hier. Sie wollte nicht aus ihrem Netz. Sie wollte so sitzen bleiben, isoliert von dem Monster, das irgendwo vor ihnen lauerte. Sie wollte gar nicht wissen, was zum Teufel im Frachtraum los war.
Sollten sie sich doch gegenseitig umbringen, dann hatten sie’s hinter sich.
Sie knöpfte das Netz auf und stakte den gekippten Boden hinauf, alles beiseitefegend, was ihr in den Weg kam.
Sie kam sich plump vor, als bewegte sie sich unter Wasser. Sie drehte ihre Sauerstoffzufuhr auf und polterte über die Stiegen zum Frachtraumschott.
Das Schott war geschlossen und hatte sich verkantet. Tabea versuchte, es von Hand zu öffnen. Es rührte sich nicht. Sie hieb mit schweren, dumpfen Schlägen ihre behandschuhte Faust dagegen.
»Hallo?«, rief sie. »Hallo, könnt ihr mich hören?«
Nichts. Sie drehte ihren Helmlautsprecher auf und rief noch einmal.
Noch immer nichts.
Tabea sah sich um. Die Bullaugen waren mit unirdischer Vegetation verklebt, die den Gang in eine umbrafarbene Düsternis
tauchte. Beide vorderen Luftschleusen hatten standgehalten, obwohl die Backbordseite bedrohlich eingedrückt war.
Die Alice war schon prima. Damals legte man noch Wert auf Qualität.
Tabea lief ins Cockpit zurück und durchwühlte einen Spind, in dem sie ein Brecheisen vermutete. Sie fand kein Brecheisen, aber dafür fiel ihr ein großer Schraubenschlüssel in die Hand. Sie zog ihn heraus, wog ihn in der Hand und kehrte damit zu dem gestauchten Schott zurück.
Sie steckte den Schraubenschlüssel in die Randfuge des Schotts und hebelte. Er rutschte ab und wirbelte haarscharf an ihrem Helm vorbei. Vorsicht! Sie war immer noch zittrig, und sie war high vom Sauerstoff. Sie hämmerte wieder gegen die Metalltür und rief, aber es kam keine Antwort. Die Sprechverbindung blieb tot.
Sie schaltete ihre Magnetsohlen ein, packte den gestauchten Türkragen und schlurfte gekauert die Wand hoch. Mit einem entschlossenen Satz stieß sie die Hand mit dem Schlüssel hoch, rammte ihn in die Fuge über der Tür und sprang, ohne ihn loszulassen, hinunter.
Mit dem knirschenden, metallischen Quietschen eines überdimensionalen Konservendosendeckels sprang das Schott auf. Das innere Schott war nur angelehnt.
Tabea verharrte, den Schraubenschlüssel in der Hand, und spähte durch den Spalt.
Drinnen herrschte Halbdunkel, die Luft war trüb. Was sie vom Frachtraum aus überblicken konnte, machte den Eindruck, als hätten die Drohnen hier einen Videochip abgespielt statt aufzuräumen. Am Boden ein Tohuwabohu aus Kisten und Koffern, Bühnengerät und Handgepäck. Ein Gummibandknäuel und ein paar zaghafte Streiflichter vom Laufsteg, auf dem hinteren Schott Farbschmiere von Sarahs angrenzendem Wandgemälde.
Kein Blut, keine Leichen. Sollte sich da drinnen eine fleischfressende venusische Bestie aufhalten, dann war sie durch den Spalt nicht zu sehen.
Tabea klopfte das Herz bis zum Hals, sie stieß die Tür mit dem Fuß auf.
Der Frachtraum lag verlassen da.
Verstreute Reisetaschen und Kleidungsstücke beiseitekickend ging Tabea hinein.
Ihr Stiefel traf einen Körper, eine Drohne, zerschmettert.
Eine andere Drohne saß vor ihrer Wandnische, ein Tambourin in den Manipulatoren. Tabea bezog neben ihr Position, ließ den Blick kreisen und musterte das wüste Durcheinander.
Eine riesige schwarze Motte hatte ins Schiff gefunden. Sie flatterte und schnurrte sinnlos gegen das feinmaschige Netz der schweigenden Ventilation. Keine Spur von Marco oder den Zwillingen.
Tabea zog an den Kästen und Koffern herum, bis sie Gewissheit hatte, dann lief sie zum Achterschott und verließ den Frachtraum. Sie sah sich in der Toilette, der Kombüse und in den Kabinen um. Überall heilloses Durcheinander. Alles lag verlassen da. Die Bullaugen waren dick mit Morast bespritzt.
Sie kam in den Frachtraum zurück, verrückte einen umgestürzten Lautsprecher und drehte die zerquetschte Drohne auf den Rücken. Das Kerlchen war nur noch Schrott. Auf den kläglichen Überresten glitzerten nasse Stellen, als hätte es im Wissen um sein Schicksal dicke Tränen vergossen. Tabea bückte sich und ließ die Glasfaserinnereien durch die behandschuhten Finger gleiten.
Ganz in der Nähe, zwischen dem verschütteten Inhalt einer Hardwarekiste, lugte eine Ecke von Talos Porzellitbox hervor. Sie zog sie heraus. Die Box war noch immer verschlossen. Die Pulsanzeige zeigte Grün. Sie riss an der
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