Sternendieb - Roman
sie und schüttelten traurig ihre riesigen Schädel. Ein beliebtes Plakat aus diesen Tagen, mit dem für die Emigration geworben wird, zeigt ein grinsendes Kleinkind in den hohen, schweren Schuhen eines Erwachsenen, an denen roter Sand backt. Das Bild mag sentimental sein, aber es bringt deutlich dieses muntere Lebensgefühl zum Ausdruck, mit dem die Menschheit etwas in Angriff genommen hat, was - noch - mehrere Nummern zu groß für sie ist.
Und die Marsianer, diese verschollene Titanenrasse, was genau wissen wir über sie? Im Grunde nicht mehr, als uns die Architektur des alten Schiaparelli schon immer so beredt vor Augen führte. Titanen waren sie, nach ihren Gebäuden zu urteilen, Titanen, die die Vorzüge einer anspruchslosen Gravitation weidlich nutzten.
Sie waren von riesiger und kräftiger Statur, und sie meisterten prachtvolle und weitreichende Projekte. Sie bearbeiteten Stein, schmolzen Eisen und brannten Ziegel. Auch wenn sie das Tageslicht offenbar nicht zu den unverzichtbaren Annehmlichkeiten zählten, finden sich in den wenigen formlosen Löchern, in denen der Wind heult, vereinzelt Rückstände von Verglasungen, und andernorts solche von primitiven und nicht gänzlich erfolglosen Versuchen mit Eisenbeton.
Die Funktion dieser Gebäude liegt immer noch im Dunkeln. Sehr wohnlich wirken sie jedenfalls nicht. Abgeschliffen, wie sie sind, durch den turbulenten und frostigen Sand, der jegliche Ausstattung und Einrichtung spurlos erodiert hat, tragen sie an Wänden und Decken Zeichen - Überbleibsel eingeschnittener und manchmal auch eingelegter rechtwinkliger Formen, die zahlreiche Experten zuverlässig als Schriftzeichen identifizieren, wiewohl noch keine wirklich plausible Übersetzung gelungen ist.
Die Marsianer waren, wenn wir mit viel Fantasie von ihren Kranbrücken, Trockensilos, Verliesen und verzweigten Gewölben, vom klaren Konzept ihrer Treppen, Rinnsteine und Wasserleitungen und nicht zuletzt von ihrem berühmten Kanalsystem auf ihre Mentalität schließen, ein ernsthaftes und entschlossenes Volk, gründlich in seinen Planungen, zielstrebig und nüchtern. Die Spekulationen noch weiter zu treiben wäre sicher nicht ihre Art gewesen. Die siebenundsechzig Ruinen auf der Ebene von Barsoom, gemeinhin »Tempel« genannt, mögen genau das gewesen sein; doch es könnte sich ebenso gut um Armeebaracken, abgelegene Quartiere für geistig Verwirrte, solche für Seuchenopfer oder um Ferienlager für marsianischen Städter gehandelt haben. Dass es üblich war, in der Arena schreckliche Tiere abzuschlachten oder auf den Altären zürnender Gottheiten hübsche Sklavenmädchen zu opfern, darauf gibt es nicht den leisesten Hinweis.
Was aber war mit den Marsianern passiert? Was aus ihnen geworden? Falls die capellanischen Führungskräfte etwas wussten, so behielten sie es für sich. Missmutige Zeitgenossen, durch irgendwelche Zwänge oder nur durch ihre Sturheit an die Erde gekettet, setzten das Gerücht in Umlauf, die Capellaner hätten von Anfang an gewusst, was man auf dem Mars vorfinden würde. Mehr noch. Manche behaupteten sogar, vielleicht nur aus Bosheit, Capella habe beim Untergang der Marsianer vor Gott weiß wie vielen Äonen selbst die Finger im Spiel gehabt.
Still wie ein gewaltiger, stummer Friedhof inmitten der übervölkerten Stadt schieben die uralten verwaisten Bunker und leeren Silos ihre ausladenden, einander überlagernden Schatten über die gepflasterten Straßen und öligen Wasser. Düster, mit lautloser Grabesstimme erzählen die Innenräume von ihren verschollenen Architekten. Eine Zeit lang kampierten die Archäologen im Innern der Gebäude, bis ihnen dieses Leben zu unbequem wurde und sie in die Distrikte zogen, die ringsherum wie Pilze aus dem Boden schossen. Die alte Stadt wurde ein zweites Mal aufgegeben. Man überließ sie den Romantikern, Theoretikern, Schaulustigen und Hunden. Die Teenager entdeckten die Gegend und machten mit ihren Buggys das alte Hafenviertel unsicher. Als sie heranwuchsen, wurde es schick, in die Lagerhäuser zurückzukehren und dort riesige Partys abzuhalten.
Tabeas Blick kletterte die wuchtigen, fugenlosen Wände aus rosafarbenem Stein hinauf, die Hunderte von Metern emporstiegen und sich in der Finsternis verloren. Dazwischen verliefen Träger und Kranbrücken aus schwarzem Eisen wie gigantische Fahrbahnen, die sich über Abgründe spannten. Die Alice Liddell hätte bequem auf jeder einzelnen Platz gefunden, ohne irgendwo anzuecken.
Das Schnellboot
Weitere Kostenlose Bücher