Sternendieb - Roman
Pyjamas hochkrempelte, »man kann äußerlich erst frei sein, wenn man es auch innerlich ist. Sieh dich doch um, Tabea.« Sie streckte den rechten Arm nach vorne und sah kritisch an ihm entlang und drehte ihn hierhin und dorthin in dem verstärkten Sonnenlicht.
»Du solltest auf deine Freunde hören, Tabea«, pflichtete Bruder Felix bei.
»Bald wirst du begreifen, Tabea, wenn du erst eine von uns bist«, versicherte Schwester Margret mit aufrichtigem Ernst. »Hier ist alles wunderschön, und alle sind vollkommen frei. Wer kommandiert uns herum, wer verbietet uns etwas? Wo sind unsere Unterdrücker?«
»Auf Capella«, antwortete Tabea. »Wenn es stimmt, was Bruder Felix sagt.«
Die drei Kuratoren sahen sich entgeistert an. »Capella?«, fragte Schwester Veronika. »Aber Tabea. Capella hat uns diese Freiheit gegeben?«
»Denk doch nur«, sagte Bruder Felix eindringlich. »Wir sind hier auf Charon, am äußersten Rand des Sonnensystems. Und wie herrlich scheint bei uns die Sonne!«
»Wo wären wir denn ohne die befreiende Macht von Capella?«, gab Schwester Margret zu bedenken.
»Wir säßen immer noch auf dem armseligen alten Erdmond«, sagte Schwester Veronika, »und lägen uns in den Haaren, ob wir uns den Flug zum Mars leisten können oder nicht!«
Aber jetzt war Tabea es leid. »Glaubt ihr das wirklich, was ihr da von euch gebt? Ich will euch sagen, was ich glaube. Ich werde euch was erzählen von wegen befreiende Macht von Capella. Wie ich aufs Kreuz gelegt und nach hier verschleppt worden bin durch euch und euer beschissenes Spiel.«
Sie nahm sich Zeit für einen Schluck Wein, genoss das winzige Vergnügen, sie warten zu sehen, besonders, wo sie noch keine Ahnung hatte, was sie als Nächstes sagen wollte. »Ich werde euch sagen, was ich glaube«, sagte sie erneut und hörte sich reden und stellte fest, dass der Wein mundete und sie schon eine hübsche Portion davon intus hatte. »Es gibt überhaupt keine Freiheit«, sagte sie mit spöttischem Unterton. »Man ist immer in einem fremden Garten.« Das klang schon ganz gut für den Anfang. Sie machte
eine fahrige Handbewegung. »Man kann nicht frei sein, solange da jemand ist, der einem sagt, wohin man gehen darf und wohin nicht.«
Sie nahm wieder einen tüchtigen Schluck Wein. »Als ich noch ein Kind war«, erzählte sie, »da war der Mars die Grenze. Ich bin zum Beispiel«, sie sah Schwester Veronika scharf an, »auf diesem armseligen alten Erdmond geboren.«
Schwester Veronika reagierte nicht.
»Jemand muss ja schließlich von da kommen«, sagte Tabea.
Schwester Veronika lächelte höflich.
»Es war überhaupt nicht lustig, wenn du mich fragst«, entgegnete Tabea. »Jedenfalls, als der Mars restlos aufgeteilt war, wollten sie alle in den Gürtel. Dann kam der Saturn dran, die Erschließung der Ringe. Und wo sind wir inzwischen? Bis hier? Ist das jetzt die neue Grenze? Oder ist das die Gartenmauer?«
Die Wächter des Sonnensystems sahen und hörten ihr ruhig zu, als rezitierte sie ein Gedicht, etwas, das sie auswendig gelernt hatte, etwas Einstudiertes und nicht Alltägliches. Sarah und Xtaska hatten gebannt zugehört. Sarah kam auf Händen und Knien zu Tabea, setzte sich neben sie und wollte ihre Hand halten.
Aber Tabea wollte nicht, dass man ihre Hand hielt. »Es gibt keine Freiheit«, sagte sie wieder. »Nicht, solange jemand nach Macht strebt. Also hast du ganz recht, Felix. Wir sind alle Sklaven, einer wie der andere.« Diese melancholische Weisheit ließ Tabea traurig mit dem Kopf nicken. »Ich weiß nur eins«, sagte sie, »bevor das hier alles angefangen hat, da war ich so frei, wie man nur frei sein kann.« Sie lachte kurz auf. »Mit einer gewieften alten Kobold auf den Handelsrouten herumschippern, Maschinenteile schleppen von Santiago Celestina nach Callisto, sich durchschinden mit einem Akonto in der Tasche, bevor der nächste Wechsel fällig ist, nicht wissen, wo man als Nächstes andockt, wie man an
den nächsten Job kommt. Mehr Freiheit steckt nicht in diesem System«, sagte sie grimmig.
Bruder Felix erhob sich ein wenig höher in die Luft. Sofort legte Sarah ihren Arm schützend um Tabea, als befürchte sie, er könne handgreiflich werden. Doch er sagte verständnisvoll: »Du bist immer noch aufgebracht wegen deiner Alice Liddell, nicht wahr? Es war gedankenlos von mir, entschuldige bitte. Wir wollen doch sehen, was wir für dein inneres Gleichgewicht tun können.«
Er machte sich auf den Weg zurück über die Wiese. Tabea, Sarah
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