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Sternendieb - Roman

Titel: Sternendieb - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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sie sich selbst hörte. »Du bist …«
    Sie sprangen.
    Der Schleier der Realität zerriss mit einem spitzen, hohen Schrei, der in dem Moment verging, als die Ohren sich darauf einstellten. Die Sterne waren fort. Der Raum war fort.
    Das Schiff bewegte sich durch ein Medium, das die fahle Abwesenheit jeglicher Farbe war.

    Im Hyperraum tritt die Erbärmlichkeit der dreidimensionalen Welt deutlich zutage. Gleichsam von oben gesehen erscheint der konventionelle Raum fadenscheinig und armselig. Die Unterscheidung zwischen hier und dort ist zum Beispiel reine Wortklauberei, beinahe akademisch. Dagegen erfahren die Dinge an sich, oder genauer die Dinglichkeit in diesem Überhier, eine erstaunliche Entfaltung und Erweiterung. Nachdem die Passagiere an Bord der Alice Liddell an die Bullaugen gestürzt waren, sahen sie klar und deutlich die allomorphischen Metaphern, die der orbitale, irdische Verkehr unwillkürlich an den quecksilbrigen Meniskus des dreidimensionalen Raums kritzelt, Metaphern, die wie Fische heraufglotzten, wenn über ihnen die Entenbäuche auftauchten.
    Die Flötentöne klangen jetzt schärfer und weit weniger nach Flötenspiel. Die Sylphen, wenn es denn welche gegeben hatte, flohen und kicherten über das Häuflein argloser Sterblicher, das sie aus ihrem natürlichen Element gelockt hatten. Sie überließen den Schauplatz einem weitläufigen und unsichtbaren, durch die Zähne pfeifenden Etwas. Vielleicht war es auch der interdimensionale Wind, der hyperkubische, hungrige Schirokko, der klagend durch die koboldförmige Aussparung im dreifaltigen Gewebe blies.
    Die Polizei war woanders, nirgends, weltenweit weg.
    Tabea betrachtete Mogul Zodiak, der mit verschränkten Armen und gekreuzten Beinen aufrecht in seinem Netz saß. Merkwürdigerweise herrschte jetzt im Schiff eine leichte Gravitation, als würde es von tief unten, von dem ungrauen, kraftlosen und puddingartigen Grund des Hyperraums angezogen.
    Mogul lächelte. »Danke«, sagte er leise und sehr sensibel. »Käpt’n.«
    Tabea hatte das einzigartige Empfinden, dass er verstanden hatte, was immer sie eben gesagt oder zu sagen versucht hatte, dass
er bei ihr gewesen war, wo immer sie eben gewesen war, so nahe wie der Geliebte auf dem Kissen.
    Entnervt sah sie beiseite.
    Sie schaltete die Triebwerke ab, justierte die Stabilisatoren und kontrollierte die Lebenserhaltungssysteme. Alle Schwingungen und Geräusche verebbten so gründlich wie immer. Die Alice hatte es wieder einmal geschafft!
    Allerdings blieb da ein unmissverständliches Klackern übrig. Ein unregelmäßiges Klopfgeräusch. Tabea konnte es hören, es war keine Einbildung. Sie langte nach der Tastatur, um die Ausfallwahrscheinlichkeit abzurufen, dann zog sie die Hand wieder zurück. Später, dachte sie.
    Sie öffnete ihr Netz und stieg aus. Sie wandte sich an den Rest der Künstlerbande, die Akrobatin, den Handschuhspieler und den Cherub, die sich jetzt respektvoll hinter den Netzen drängten. Ihre Gesichter sahen bleich und körnig aus in dem fremdartigen, widerspenstigen Licht.
    »Macht euch damit vertraut«, sagte sie mit einem Wink zum Bugfenster. »Der Film dauert gut einen Monat.«
    Hier untertreibt Tabea ein bisschen. Der Hyperraum ist nicht immer nur ein langweiliges Einerlei. Wie Enten auf einem Weiher, so treiben im Hyperraum physikalische Phänomene ihr Spiel und kleckern und stochern in seinem achromatischen Dunst herum. Da sind vor allem die heftigen, prickelnden Energieentladungen, die nicht selten einem schwarzen Feuerwerk über einem Schneefeld ähneln oder einer schimmernden Luftspiegelung, einem Silbersee im geblendeten Himmel. Dinge treten hervor, als dehnten seltsame Formen ein gespanntes Gummituch: Vulkane, Kometen, das Pulsieren ferner Quasare. Dann wieder sind die konventionellen Größenverhältnisse völlig eingeebnet. X-Bosonen können vorüberschnattern wie Elritzenschwärme. Unsichtbare Fußabdrücke
akkumulieren zu hexagonalen Stapeln. Wenn man Glück hat, flattert ein Geist am Schiff vorüber oder durch das Schiff hindurch - ein abwesender Freund oder ein abwesender Verstand.
    Im Grunde genommen hat Tabea natürlich recht. Die Überwelt erinnert im Großen und Ganzen an einen endlosen Stausee aus Spülwasser.
    Tabea sah Marco an, sah Mogul an. »Dass mir hier keiner irgendwo drangeht.« Dann musste sie den Cherub ansehen, ob sie wollte oder nicht. Der Cherub senkte den Kopf. »Ich lege mich aufs Ohr«, sagte Tabea.
    Sie trat zurück, als Mogul sich aus dem Netz

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