Sternenfaust - 041 - Das Kristallschiff
Unwägbarkeiten waren damit auf ein Minimum reduziert.
»Also los«, sagte Kd’ra unpathetisch. Sie schaltete das Antigrav ein und erhob sich zügig in die Luft. Tbq’ri folgte, während Kkiku’h als Letzter abhob, um möglichst schöne Bilder vom Aufbruch filmen zu können. In einem lang gezogenen Dreieck schwebten sie in knapp zehn Metern Entfernung von der Steilwand nach oben.
»Wie in einem gläsernen Außenfahrstuhl«, sagte Tbq’ri.
Als sie eine Höhe von rund fünfzehnhundert Metern erreicht hatten, gerieten sie in eine Böe, die aber nur ein leichtes Schaukeln verursachte. Sie kamen der gläsernen Wand noch nicht einmal einen halben Meter näher.
Mit behutsamen Schwenks nahm Kkiku’h zahllose, beindruckende Sequenzen ihres Aufstiegs auf, die – das wusste er nur zu gut – dennoch zu mehr als neunzig Prozent im Archiv verschwinden würden. Sie zeigten aber in den Nahaufnahmen deutlich, dass die aus weiterer Entfernung monolithisch und spiegelglatt erscheinende Wand, in Wirklichkeit in jedem Höhenabschnitt etwas anders aussah als zuvor.
Unmittelbar am Fuß der senkrecht nach oben ragenden Wand war sie bis zu einer Höhe von rund fünfzig Metern am zerklüftetsten gewesen. Messerscharfe und nadelspitze Grate ragten hier aus ihr hervor und drohten jeden, der in sie hineinstürzte, in Fetzen zu schneiden. Danach begann der eigentlich glatte Teil. Aus der Nähe aber sah man, dass es Bereiche gab, in denen das Material mal stärker, mal weniger stark gewellt war. Diese nahezu waagerecht zum Berg verlaufenden Wellen, spiegelten das darauf fallende Licht in unterschiedlichster Weise. Daneben waren auch Unterschiede im Material zu erkennen, das je nach Beschaffenheit Blau- oder Rotanteile aufwies.
Als sie am »Maul« des Bösen Gottes ankamen, konnte Kkiku’h gut erkennen, dass hier die wie mit einem Messer geschnittene Fläche über eine aus der Wand herausragende Beule von mehr als hundert Metern Durchmesser verfügte. Aus der Nähe erinnerte die Form überhaupt nicht an Fresswerkzeuge. Dieser Eindruck entstand erst in einigen Kilometern Entfernung. Sie umschwebten diese Ausstülpung problemlos mit den Antigravs, immer darauf bedacht einen Sicherheitsabstand zur Wand einzuhalten. Zu nahe durften sie ihr nicht kommen, denn immer wieder unterbrachen scharfe Grate die Glätte der Fläche und ragten oft nur wenige Zentimeter aus der Wand hervor. Das war vergleichbar mit der Schneide einer Rasierklinge oder eines Skalpells, die man in eine ansonsten ebene Tischfläche eingelassen hatte, aus der sie weniger als einen Millimeter hervorlugte und auf eine Hand wartete, die über die Fläche strich …
Die zweite Böe kam in dem Moment, als sie die untere Kante des linken Auges erreicht hatten. Sie waren jetzt dreitausend Meter über der Fläche am Fuß der Wand. Ein Stück weiter nach rechts war noch deutlich ihr Basislager zu erkennen. Aus dieser Höhe wirkte es filigraner und kleiner als jedes Spielzeug. Der Wind erwischte sie heftiger als beim ersten Mal und instinktiv steuerten sie ein Stück auseinander. Ein kleiner Stöpsel, den sich jeder von ihnen an die Chitinöffnung des Ohrlochs geklebt hatte, übertrug das unwillkürliche, erschrockene Knattern ihrer Sprechwerkzeuge, an deren kleiner Schabeschiene das empfindliche Mikrophon ihrer Sprechfunkgeräte angebracht war.
Dann hatten sie die nach unten drückende Windschicht durchstoßen und schwebten vor der gewaltigen Höhlenöffnung. Drei winzige Gestalten standen beinahe reglos in der Luft und starrten in eine ovale Öffnung, von mehr als dreihundert Metern Längsdurchmesser.
»Der Wind ist direkt aus dem Inneren der Höhle gekommen und wie ein Wasserfall in die Tiefe gestürzt«, sagte Kkiku’h.
Von seinen Begleitern kam ein kurzes Klacken der Bestätigung. Langsam schwebten sie in die Öffnung hinein. So glatt die Wand des Glasmassivs von außen war, so bizarr war die Höhlenwand geformt. Tropfenförmige Strukturen wechselten mit Kristallflächen ab, die wiederum von dicken Bündeln durchzogen wurden, die aussahen, als ob sich im Inneren des toten Auges mächtige Adern befanden.
Die Höhle führte tief in den Berg hinein. Zuerst schnurgerade, als habe sie jemand mit einem überdimensionalen Presslufthammer in das Material gehauen. Je tiefer sie eindrangen, desto mehr verengte sich der Schacht. Dann kam die erste Biegung. Mehr als neunzig Grad führte ihr Weg sie jetzt nach links. Fort von der möglicherweise parallel verlaufenden zweiten
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