Sternenfaust - 058 - Im Zeichen der Toten Götter
qualifizieren.«
»Das Verhalten eines jeden Individuums sollte immer moralisch qualifiziert werden«, erwiderte der Austauschoffizier verständnislos. »Dient mein Verhalten dem Willen Gottes oder nicht? Das ist die alles entscheidende Frage, die sich stellt, wenn das Verhalten eines Gläubigen beurteilt werden muss.«
»Ich wollte eigentlich auf etwas anderes hinaus, Sun-Tarin.«
»Dann haben wir uns offensichtlich missverstanden.«
»Würden Sie das Verhalten dieser drei Tanjaj als verrückt bezeichnen oder gibt es irgendeine andere Erklärung, dass sie ohne erkennbaren Grund um sich geschossen haben?«
»Es ist mir bekannt, dass bei Ihnen ein abweichendes Verhalten als seelische Krankheit definiert wird. Wir definieren diesen Zustand als Verlassenheit von Gott. In diesem Sinn würde jeder Kridan das Verhalten dieser Tanjaj als verlassen bezeichnen.«
Jennings nickte nachdenklich.
Stephan van Deyk mischte sich in das Gespräch ein. »Ich dachte, die Wächter der Höllentiere seien Tanjaj, deren Glaube besonders gefestigt ist?«
»Deswegen ist der Zustand, in den diese Krieger gerieten, für mich vollkommen unfassbar«, erklärte Sun-Tarin. Er wandte den Kopf in van Deyks Richtung. Der Schnabel öffnete sich etwas. Sun-Tarin setzte zu einem Laut an, aber es kam nichts. Nachdem beide Schnabelhälften einmal geräuschvoll aufeinandergeschlagen waren, als wollte der Austauschoffizier nach Luft schnappen, sagte er schließlich: »Ich weiß, dass in Ihrer Sprache der Begriff Amok existiert. Er bezeichnet einen unvorhergesehenen und unerklärlichen Ausbruch von Gewalt, für den es keinerlei rational nachvollziehbare Gründe gibt.«
»Das ist richtig«, bestätigte Jennings.
»Das Verhalten meiner Tanjaj-Brüder erinnert mich stark an Schilderungen dieser Amok-Läufe, die ich in Ihrem Datennetz gefunden habe und die mich sehr befremdeten. Schließlich legt Ihre Kultur doch einen so großen Wert darauf, alles rational erklären zu können. Ein Phänomen, das mit dem Amok der Menschen vergleichbar wäre, existiert allerdings unter Kridan nicht. Jedenfalls nicht, dass mir davon etwas bekannt wäre.«
»Möglicherweise wurden Berichte darüber von der Priesterschaft oder den Tanjaj unterdrückt«, vermutete van Deyk.
»Das ist durchaus möglich, Commander. Aber wenn es sich um ein häufiger auftretendes Phänomen im Sozialleben unserer Spezies handeln würde, wie das offensichtlich bei Ihrer Art der Fall ist, dann ließen sich Informationen darüber kaum unterdrücken.«
Jennings nahm sich die nächste Kridan-Leiche vor und unterzog sie einem ersten Komplett-Scan. »Möglicherweise gibt es exogene Ursachen«, schloss der Wissenschaftler. »Auch hier gibt es sehr untypische biochemische Spuren im Hirn dieses Kridan.«
Als auch der dritte kridanische Amokläufer dieselben Ablagerungen zeigte, stand für Jennings das Urteil vorläufig fest. Irgendetwas hatte das Hirn der Kridan vergiftet und sie zu Amokläufern gemacht …
*
An Bord der GRALASH, Lichtjahre entfernt …
»Ich muss mit dir sprechen, mein Gebieter!«
Taur blickte auf.
Er saß im Schneidersitz da und widmete sich der Andacht. Taur hatte bei den Göttern Glück für die Zukunft erbeten. Auch wenn sein Glaube nicht sonderlich tief war und nötigenfalls opportunistischen Erwägungen stets untergeordnet wurde, so verlangte es doch die Tradition von ihm, in regelmäßigen Abständen den Andachtsraum aufzusuchen und Zwiesprache mit Denuur, Kwaai, Slaach und Troom zu halten. Mit Denuur sprach er allerdings nicht mehr.
Doch was den Todesgott Troom anging, tat man ganz sicher gut daran, es sich nicht mit ihm zu verscherzen. Noch wichtiger war allerdings, dass keine Gerüchte darüber aufkamen, dass Taur möglicherweise von Kwaais Gunst verlassen worden war. Das hätte unmittelbare Auswirkungen auf die Bereitschaft seiner Krieger gehabt, ihm zu folgen.
Taurs oberste Priorität jedoch bestand darin, die Gefolgschaft seiner Leute zu erhalten und dabei seine Macht vorsichtig noch weiter auszudehnen.
Wer sich zufrieden gab, war allzu schnell in Gefahr, von jungen Herausforderern weggedrängt zu werden. Taur hatte das oft genug erlebt. Nur wenigen war es gelungen, sich so lange an der Spitze der Schiffshierarchie zu halten, wie es bei Taur nun schon der Fall war. Und das war keineswegs in erster Linie eine Frage überlegener Körperkraft. Natürlich kam es für einen Morax-Krieger immer auch darauf an, sich im Kampf gegen seine Konkurrenten
Weitere Kostenlose Bücher