Sternenfaust - 107 - Spion auf Ganymed
Abt Daniel aufzusuchen. Die Zeit war gekommen, das Kloster zu verlassen und nach Ganymed zu reisen. Und zwar nicht, weil irgendjemand in hoher Position das so wollte, sondern weil es einfach sein musste . Seine eigenen Gefühle spielten jetzt keine Rolle mehr.
*
Als Meister William das Arbeitszimmer von Abt Daniel betrat, befand sich der gerade in einem Gespräch mit dem Ratsvorsitzenden Jasper Mitchell via 3-D-Übertragung. Obwohl Daniel den Blick nicht von der Projektion Mitchells abwandte, hatte er William natürlich bemerkt und gab ihm ein unauffälliges Zeichen, an der Tür außerhalb der Kameraerfassung stehen zu bleiben. William konnte von dieser Position aus das durchsichtige Holobild Mitchells sehen, wenn auch seitenverkehrt.
»Ihr Meister Chandrakant hat uns unlängst die Unterstützung Ihrer Bruderschaft zugesagt, Abt Daniel«, sagte Mitchell gerade sehr bestimmt. »Und verdammt noch mal, wir brauchen genau die, und wir brauchen sie jetzt . Ich bitte Sie, meine Offenheit zu entschuldigen, aber es ist mir scheißegal, hinter welchen hehren und pazifistischen Motiven Sie sich verschanzen wollen. Hier geht es schließlich nicht um irgendwelche Spielereien oder militärischen Einsätze, sondern um etwas sehr viel Wichtigeres. Das sollte selbst Ihnen klar sein.«
»Das ist es durchaus«, stimmte Abt Daniel ihm ruhig zu und rückte seine Nickelbrille auf der Nase zurecht, von der er sich einfach nicht trennen wollte. »Und diesen Standpunkt können Sie auch gleich Meister William persönlich vortragen.«
Er winkte William heran, der jetzt in den Erfassungsbereich der Kamera trat. Er wartete Mitchells Gruß nicht ab, sondern hob die Hand. »Nicht nötig, Mr. Mitchell«, sagte er schlicht. »Ich werde nach Ganymed kommen, wenn auch nicht auf die STERNENFAUST, und Sie dort in vollem Umfang unterstützen. Ich werde voraussichtlich in drei Tagen eintreffen.«
Mitchell machte ein Gesicht, das gleichzeitig zufrieden und missmutig wirkte. »Das wird aber auch höchste Zeit, Meister«, stellte er fest. »Ich erwarte Sie also in drei Tagen auf Ganymed.« Mitchell wartete Williams oder Daniels Erwiderung nicht ab, sondern unterbrach die Verbindung.
Abt Daniel blickte William ernst an. »Ich weiß, welche Überwindung Sie diese Reise kostet, Meister William«, sagte er mitfühlend.
William zuckte mit den Schultern. »Mir ist gerade durch ein Gespräch – nein, eine Ermahnung zweier meiner Schüler bewusst geworden, wie dringend sie ist. Ich hoffe nur, dass es nicht schon zu spät ist. Aber wir dürfen jetzt nichts mehr unversucht lassen.«
»Da stimme ich Ihnen vollkommen zu. Gute Reise, Meister William. Und tun Sie Ihr Bestes. Aber das tun Sie ja immer.«
*
Raumhafen Ganymed, Eingangshalle
Colonel Ragnarök S. Telford beobachtete den Landeanflug der fünf Kridanraumer, die das Begleitkomitee des Raisa bildeten. Telford war von Wanda Ndogo mit Vollmacht vom Vorsitzenden des Hohen Rates vor ein paar Tagen gebeten worden, ihr für den Besuch des Raisa die besten Sicherheitswachen zusammenzustellen – idealerweise Marines – die er kannte und ausdrücklich auch ihn angefordert. Telford hatte während der Großen Expedition und der Gefangenschaft in Denuurs Reich erfolgreich mit den kridanischen Sicherheitsleuten zusammengearbeitet, weshalb er für die Bewachung des Raisas prädestiniert war.
Und auch ohne diese »Spezialkenntnisse« hätte er es sich nicht nehmen lassen, von seinem Posten als Ausbilder auf Merkur Urlaub zu nehmen und nicht nur die angeforderten Leute persönlich auszusuchen, sondern auch gleich selbst mitzukommen. Schließlich gehörte er nicht nur zu den besten und erfahrensten Marines, sondern konnte bei der Gelegenheit auch seine Frau Jenny Black Fox auf der STERNENFAUST III besuchen. Da sie sich in letzter Zeit nur relativ selten sahen, nutzten sie jede sich bietende Möglichkeit zu einem Treffen, und sei es nur für eine Stunde. Und dieser Anlass war dafür wie geschaffen. Schließlich bot er einen guten Grund, der Mission noch einen Kurzurlaub anzuschließen und Jenny zu verwöhnen. Darauf freute er sich schon am meisten. Doch vor dem Vergnügen stand die Arbeit, und Telford konzentrierte sich wieder auf die unmittelbare Gegenwart.
Immer schön geordnet in Formation und nur keine Kapriolen , dachte er amüsiert, als die Kridanschiffe beinahe majestätisch zur Landung ansetzten.
Telford ließ seinen Blick noch einmal über seine Leute gleiten. Sie alle waren
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