Sternenfaust - 111 - Die Stimmen der Götter
Die dunkelhäutige Frau stieß einen violett gewandeten Kridan von sich, der sie festhalten wollte. »Hört mich an! Ihr macht einen Fehler! Das Orakel irrt sich!«
Ihre Worte gingen in den Rufen und im Schnabelgeklapper der gut dreitausend Kridan unter, die sich auf dem Platz und im nahe gelegenen Park drängten.
Kass-Feor trat ihr entgegen. »Gehen Sie in den Palast zurück, Botschafterin, oder ich muss Sie verhaften lassen.«
»Ich möchte, dass man mich anhört!« Wanda Ndogo sah flehentlich in Richtung des Raisa. Dieser nickte knapp.
»Ich wünsche, dass die Botschafterin der Solaren Welten, Exzellenz Wanda Ndogo, angehört wird!«, meinte er nicht minder laut als Kass-Feor. Er bediente sich dabei des Mikrofons, das der Mar-Tanjaj neben einigen imposanten Rangabzeichen an seine Brust geheftet hatte. Sofort trat auf dem Platz Ruhe ein.
Hinter Kass-Feor erhob sich eine zierliche weibliche Kridan in einem weiten, beigefarbenen Gewand mit riesigen Ärmeln. Sie hatte auf einem hölzernen Stuhl mit Kniebrett gesessen und sah schwach aus. Dennoch glühten ihre Augen vor Entschlossenheit.
Das Orakel. Wanda schluckte. Die zierliche Eierlegerin hatte es geschafft, ganz Matlanor in einen Hexenkessel zu verwandeln. Die dunkelbraunen Augen der Botschafterin suchten den Blick der kleineren Kridan mit der moosgrünen Iris, die den gesamten Augapfel zu bedecken schien.
»Ja«, meinte das Orakel leise. »Lasst die Botschafterin sprechen, Kass-Feor. Es ändert nichts mehr. Die Kriegsschiffe sind ausgesandt und der Wille des Einen wird erfüllt werden.«
Kass-Feor deutete dem Orakel gegenüber eine leicht Verneigung an. »Wie Ihr wünscht, Saha-Fera. Soll die Botschafterin der Solaren Welten sprechen!«
Wanda trat ganz auf das Podest. Die Wachen hinderten sie nicht, doch sie hielten ihre Krallen auf den Grasern. Wanda atmete tief durch. Sie sah Kalpren Suresh unten auf dem steinernen Platz in der Menge stehen. Ihr Kollege stand allein. Die Kridan waren um ihn her zurückgewichen, als habe er eine ansteckende Krankheit. Er wirkte wie eine winzige Insel in einem Meer aus Leibern.
»Es ist nicht wahr, dass die Menschen danach trachten, das kridanische Volk anzugreifen!« Wanda zögerte. Welche Beweise hatte sie? Was konnte sie vorbringen? Die stellvertretende Chefdiplomatin der Solaren Welten versuchte sich zu sammeln. Von diesem einen Moment konnte viel abhängen. Es war vielleicht ihre letzte Chance einen Krieg zu verhindern. Sie hörte ein pulsierendes Rauschen in ihren Ohren. »Die Menschen wollen den Frieden! Die Gefahr, die ihr von uns ausgehen seht, ist nicht real!«
»Lügnerin!«, klackte und zischte es ihr entgegen.
Wanda warf einen Hilfe suchenden Blick zum Raisa, doch der blickte zu Saha-Fera. Die junge Novizin stand auf dem Podest wie ein Fels in der Brandung. Eine unbeugsame Ausstrahlung ging von ihr aus. Diese Kridan glaubte mit einer hingebungsvollen Leidenschaft, wie Wanda sie nicht einmal von Sun-Tarin kannte. Gegen dieses geballte Charisma konnte Wanda nicht ankommen.
Trotzdem. Ich muss weitermachen. Ich muss es versuchen. Wenn die Schiffe der Kridan tatsächlich die Solaren Welten erreichen, wird die Hölle losbrechen …
*
Kridanisches Reich, Planet Far-Gen, Kamm der Diaria, drei Wochen zuvor
Saha-Fera krallte sich mit ihren Klauen an dem schwarzen Marok-Felsen fest, der steil über ihr aufragte. Nur noch zehn Schrittweiten , dachte die junge Kridan atemlos. Zehn Schrittweiten, und ich habe es geschafft! Gott ist bei mir. Gott führt mich. Sie fühlte ihr Herz, das heftig in ihrer Brust flatterte. Ein gefangener Vogel, dessen Flügel auf- und niederschlugen. Ich werde die Erste sein!
Saha-Fera widerstand dem Impuls, sich nach den vier anderen Novizinnen des Ordens der Diaria umzusehen. Sie musste ganz bei sich bleiben, so schrieben es die Regeln des Wad-Ren, des langen Weges der Diaria, vor. Diaria, die Heilige und Märtyrerin, war vor über dreitausend Kridan-Jahren diesen Weg gegangen, um auf der Spitze des Marok-Felsens erleuchtet zu werden. Gott selbst hatte sich ihr mit einem Wunder im Tümpel offenbart.
Mit letzter Kraft zog sich die Kridan auf die Spitze des Felsens. Ihr Atem ging stoßweise, die Muskeln brannten. Dennoch erlaubte sie sich keine längere Pause. Schon nach wenigen Augenblicken kam sie taumelnd auf die Fußkrallen und stakste benommen zum Allerheiligsten hin. Sie konnte den schwarzen Tümpel sehen, wenn auch nur verschwommen. Ihr Sichtfeld drohte dunkel zu
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