Sternenfaust - 111 - Die Stimmen der Götter
den Fäusten auf die Angreifer ein. Das Wasser behinderte ihre Bewegungen, ebenso die weite Tuchgewandung, die sie nun unerbittlich nach unten zog. Obwohl der Tümpel nicht tief war, drohte Saha-Fera zu ertrinken! Immer wieder suchten ihre Krallen Halt auf dem glitschigen, mit Gara-Moos bedeckten Boden. Immer wieder rutschte sie ab, knickte mit den Knien nach hinten ein, stürzte, fiel, sank … Die Atemluft wurde knapp. Zu lange war sie schon unter Wasser.
Kiri-Tan! Diaria! Heilige Mutter! Verzweifelt kämpfte die Novizin gegen das Unglück an. Sie spürte immer mehr schleimige Körper an sich. Das Wasser war so dunkel, dass sie ihr austretendes Blut nur schemenhaft erkannte. Diaria! Saha-Fera schrie es geistig in die Schwärze des Tümpels, ihre Augen waren weit geöffnet. Da kehrte plötzlich eine große Ruhe in sie ein. Sie spürte den Schmerz der Bisse, doch sie nahm ihn nur noch mechanisch wahr. Ihr Schnabel bewegte sich lautlos, immer weniger Luftblasen drangen durch die beiden oberen Schnabellöcher, die ihr als Nase dienten. Diaria, Du hast mich gehört und für nicht würdig befunden. Ich danke Dir für die Jahre, die ich in Deinem Orden verbringen durfte. Vergib mir, Heilige. Vergib mir, Gott, denn ich war anmaßend …
Saha-Fera gab alle Versuche auf, an die Oberfläche zu gelangen.
Da erstrahlte um sie herum ein warmes violettes Licht. Sie fühlte sich leichter, konnte mit einem Mal ohne jede Mühe an die Wasseroberfläche gelangen und schnappte nach Luft. Nun stellten sich auch die Schmerzen wieder ein, doch die Angreifer hatten von ihr abgelassen. Saha-Fera suchte erneut festen Halt unter den Krallen und fand ihn. Das unwirkliche Licht hüllte sie ein und ließ sie ihre Schmerzen vergessen.
»Saha-Fera«, sprach eine Stimme zu ihr, klar wie die Luft am frühen Morgen, tosend, wie die Stürme des Winters, erhaben wie der bronzene Klang der großen Glocke. »Höre mich! Ich bin der Geist Gottes, Seine Stimme, die sich dir auf dem Gipfel des Berges Samuin offenbart.«
Saha-Fera glaubte, das Bewusstsein verlieren zu müssen. So heftig sie eben noch Luft durch die Nasenlöcher gesogen hatte, so unmöglich war es ihr nun zu atmen. Sie wagte es nicht, die Stimme zu erheben und starrte mit zusammengekniffenen Augen in das warme violette Licht, das sie wie ein Mantel aus heiligem Feuer einhüllte. Ihr Schnabel stand ein Stück weit offen und die leeren Klauen zuckten unruhig. Die Stimme des Einen! Es muss die Stimme des Einen sein!
Ein unglaubliches Glücksgefühl durchströmte die Kridan. Gott offenbarte sich ihr! IHR! Saha-Fera aus dem Gelege der Tarma-Kir!
Danke , dachte sie ehrerbietig, danke, großer Geist, dass Du mich erwählt hast. Ich tue alles, was Du verlangst.
»Saha-Fera, du musst nach Matlanor gehen! Triff dich dort mit dem Raisa! Denn auch in der heiligen Stadt möchte ich durch dich zu den Kridan sprechen. Großes steht uns bevor. Ich bin sehr ungehalten, da die, die sich Menschen nennen, mit den Dingen des Seins experimentieren. Sie nutzen die Techniken der Verfluchten. Ihnen muss Einhalt geboten werden. Du wirst meine Dienerin sein, mein Werkzeug, über das ich mich dem kridanischen Volk mitteilen kann. Wirst du dich in dieses Schicksal fügen?«
Mit Freuden, Herr. Saha-Fera erschauderte. Sie keckerte leise. Es war ein Laut, den sie nicht mehr unterdrücken konnte. »Mit Freuden!«, sagte sie laut und streckte beide Arme von sich, die einzelnen Krallenfinger waren weit gespreizt. Vor ihren Augen sah sie violette Lichtblitze tanzen. Wie die tanzenden Lichter hoch über den eisigen Nordflächen. Das Glücksgefühl ließ sie schwindeln. Sie sah den ersten Stern über sich, die ferne Sonne, die Dornarat erhellte. Das Licht des Sterns sank in sie, füllte sie aus und ließ sie eins werden mit dem Tümpel, dem Marok-Felsen, dem Berg Samuin und dem gesamten Kamm der Diaria. Sie war das Gebirge und das Gebirge war sie.
»Ich erfülle diese Aufgabe!«, schrie sie verzückt. »Ich erfülle sie!« Die Lichtblitze vor ihren Augen nahmen zu, hüllten sie ein, bis sie plötzlich nicht mehr da war. Sie war weit fort. Irgendwo im Universum. Bei Gott. Das violette Licht verging.
Saha-Fera sank leblos in das Wasser des schwarzen Tümpels. Ihr Schnabel stand noch immer weit offen und ihr Gesicht war durch die Verzückung so glatt, als wäre sie soeben neu geboren worden.
Der Eine. Er hat zu mir gesprochen. Der Eine. Es war das Letzte, was die junge Kridan vor ihrer Ohnmacht
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