Sternenfaust - 111 - Die Stimmen der Götter
die Kopffedern. »Du hattest niedrigste Taja-Werte. Ich dachte schon, du wachst nie wieder auf.«
Saha-Fera spürte Tränen aus ihren Augen laufen. »Das kann der Eine nicht gewollt haben …«
»Nicht jeder erträgt die Gegenwart Gottes. Denke an die Kinder Martek-Las, die niedersanken und starben, als sie Gottes allmächtige Stimme hören durften.«
»Aber … Ich fühle mich gut! Warum …?« Wieder verstummte sie. Ihr Körper wurde von Weinkrämpfen geschüttelt.
»Ruhig, meine teure Saha-Fera.« Die Schwester schloss die Verzweifelte in ihre Arme. Ihre starken Krallenhände waren erstaunlich sanft. »Du wirst sehen, das alles hat einen Sinn. Du bist auserwählt und ich passe auf dich auf. Sei ganz ruhig. Gott beschützt uns alle. Und auch das Totenreich wird bewacht von Batkuri, der treuen Dienerin Gottes, die die Verstorbenen ehrt und die Eier der ersten Sterne legte.«
Saha-Fera drückte den Schnabel in die Schulter der Schwester. »Kiri-Tan, ich habe Angst!«
»Das musst du nicht. Ich bin bei dir. Beruhige dich und iss ein wenig. Danach ziehe ich dich an und wir gehen gemeinsam zur Oberpriesterin und den Jemak-Sur. Einverstanden?«
Die Novizin schluckte und nickte. »Gut. Aber sag mir noch … ihre Namen.«
Die Schwester verstand. »Die Namen der beiden Verstorbenen sind Hara-Wan und Diri-Kas.«
Erneut wurde Saha-Fera von einem Weinkrampf geschüttelt. Erst nach einiger Zeit ließ sie die Schwester los. Schweigend griff sie nach der Suppe. Mechanisch setzte sie den gebogenen Saugstutzen auf die dafür vorgesehene Deckelöffnung und begann zu trinken. Für den Weg, der vor ihr lag, würde sie viel Kraft benötigen.
*
Die Stube der Oberpriesterin war größer und geräumiger als die Zellen der Novizinnen und der niederen Priesterinnen. Dennoch war auch sie karg eingerichtet, einzig die Wände leuchteten und strahlten in allen nur erdenklichen Farben, denn hier zeigte sich in einem Wa-Nal – einer bestimmten Bilderabfolge, bestehend aus 3 mal 17 Tafeln – die Geschichte der Heiligen Diaria von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod. Die Inneneinrichtung folgte im Kloster den heiligen Primzahlen und durfte die Zahl 57 nicht überschreiten. Das Wa-Nal war davon ausgenommen. Die wenigen Möbel waren zweckmäßig, zwei steinerne Sitzmöbel, ein roter Vorhang, hinter dem sich die längliche elfeckige Tanas befand, die Bettnische mit dem tiefen Bodenlager, das wie ein Nest in die Erde hinabgebaut war. Sonst befand sich nur noch ein schwerer siebeneckiger Schreibtisch im Raum und zwei einfache fünfeckige Schränke.
Saha-Fera ließ sich von der Schwester stützen. Sie fühlte sich kalt an. Der Schreck und die Trauer über den Verlust der anderen beiden Novizinnen saßen ihr noch in den Knochen. Vorsichtig ließ sie sich auf einen der harten Steinblöcke sinken, der zu einem Stuhl mit Kniebrett umgearbeitet worden war. Über ihr hing passenderweise die Wandtafel, auf der Diaria-Kan ihren Körper in das schwarze Wasser des heiligen Tümpels auf dem Berge Samuin tauchte. Auch auf diesem Bild erstrahlte ein helles Licht, doch es war orange, nicht violett.
Die junge Novizin seufzte und begegnete dem Blick der Oberpriesterin.
Die Oberpriesterin Janan-Run hatte gütige, goldbraune Augen und eine leise, angenehme Stimme, die selten laut wurde. Sie stand aufrecht im Raum, flankiert von den Jemak-Sur, den höchsten Priesterinnen unter ihr in der Klosterhierarchie. Ihre Namen waren Gabri-Tunin und Jas-Geran. Beide trugen die goldweißen Gewänder ihrer Berufung, während die Oberpriesterin ein strahlend helles, silberweißes Gewand mit langen Ärmeln anhatte.
Janan-Run sah die Novizin prüfend an. »Wir hörten von den anderen Novizinnen, was geschah. Wenn du stark genug bist, Schwester, möchten wir es nun aus deinem Schnabel vernehmen.«
Saha-Fera erzählte die Geschehnisse. Als sie zu dem warmen, violetten Licht kam und ihrer Verzückung, spürte sie eine große Kraft, die ihren Körper zu durchfluten schien. Wohlig schloss sie die Augen. Als sie sie wieder öffnete sah sie, dass die Oberpriesterin und die beiden Jamek-Sur die Köpfe zusammensteckten und sich leise schnabelklackernd berieten. Sie warf einen Hilfe suchenden Blick zu ihrer Schwester Kiri-Tan, die ihr beruhigend zublinzelte. Kiri-Tan formte mit der Kralle einen ovalen Kreis, ein Zeichen, das sich die Schwestern schon als Küken ausgedacht hatten, um zu zeigen, dass sie geistig ganz beim anderen waren und ihn mit ihrem Geist beschützten. Der
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