Sternenfaust - 143 - LOODOON (1 of 2)
Tregarde.
Der Mann glotzte.
»Sprechen Sie Solar?«, fragte Tregarde.
Der Mann nickte dumpf. »Das und anderes, Mann.«
»Na also …«, sagte Tregarde. »Haben Sie frisches Wasser für uns oder Bier?«
»Alles, was Ihr wollt, Mann.«
»Ist etwas mit uns nicht in Ordnung?«, fuhr Yefimov dazwischen.
»Nee, Mann, alles in Ordnung«, grunzte der Wirt.
»Und warum mustern Sie uns dann so?«, fügte Yefimov hinzu.
»Is nich oft, dass man welche wie euch sieht. Kommt wohl nich von hier, was?«
»Wieso meinen Sie das?«, fragte Tregarde.
Der Mann fuhr sich mit den schmutzigen Fingern durchs Gesicht.
Tregarde begriff und lächelte. »Ist mir auch schon aufgefallen. Alle, die einigermaßen menschlich aussehen, haben eine sehr unreine Haut. Wir wirken für Sie vermutlich wie glatte Kinderpopos, nicht wahr?«
Der Wirt starrte den Xenomediziner an, als habe dieser einen üblen Scherz gemacht. Vermutlich hatte er nur die Hälfte verstanden. Plötzlich grinste er und nickte vehement. »Popo. Ja, so isses!«
»Bringen Sie uns Wasser, aber schnell«, stieß George Yefimov hervor. Langsam aber sicher hatte er von dieser Unterhaltung die Nase voll. Er wollte endlich von Tregarde wissen, was hier vor sich ging.
Der Wirt trollte sich.
Mary Halova meinte: »In sein Solar mischen sich noch mindestens vier weitere Akzente. Dieser Mann ist multilingual. Er beherrscht mehrere Sprachen. Ich glaube, wenn wir uns gut mit ihm stellen, werden wir in Kürze mehr in Erfahrung bringen, als wenn wir wer weiß wie lange suchen. Wirte sind wie Psychologen. Sie wissen Dinge, die man anderen Menschen sonst nicht erzählt.«
»Das mag sein«, knurrte Yefimov.
Der Wirt stellte faustgroße Krüge auf den Tisch und verschwand schweigend. Tregarde schnüffelte und trank. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Schmeckt!«
»Dickens, lieber Doktor«, sagte Mary, bevor George Yefimov ansetzen konnte.
»Ja, Charles Dickens. Er war ein Dichter des neunzehnten Jahrhunderts. Er schrieb Fortsetzungsgeschichten, die später, wenn sie sich als erfolgreich herausstellten – und das war stets der Fall – als Buch veröffentlicht wurden. Er schrieb über die Briten seiner Zeit. Er schilderte die Armut, die in den Londoner Straßen herrschte, und erzählte vom Schicksal junger Menschen, die auf den Straßen verhungerten oder für Hungerlöhne zu Verbrechern wurden. Er brachte der versnobten Mittelschicht das Leben der einfachen Menschen nahe, indem er die Realität in eine Mischung aus Märchen und Abenteuergeschichte verpackte. Er schilderte das Leben der Armen und Verstoßenen mit den eleganten Mitteln großer Dichtung. Dies ging so weit, dass die Namen seiner Protagonisten in den allgemeinen englischen Sprachgebrauch übergingen. Es würde zu weit führten, dies jetzt zu erläutern. Wenn wir auf die STERNENFAUST zurückkehren, empfehle ich Ihnen unsere Datenbibliothek. Lesen Sie ›Oliver Twist‹ oder ›Bleak House‹, auch zu empfehlen sind ›Die Pickwickier‹ oder ›Der Raritätenladen‹.«
George hörte interessiert zu, begriff jedoch nicht, was das mit dieser Stadt zu tun hatte. Auf einen intellektuellen Diskurs mit dem Doktor konnte er gut verzichten, außerdem las er sowieso nicht gerne.
Mary hingegen war Feuer und Flamme. »Also handelt es sich bei Dickens’ Beschreibungen um so etwas wie jene von Tyber Slltkar, der sich in seinen ›Merkurion Chroniken‹ Anfand des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts mit den Sklaven von Beteigeuze befasste?«
Tregarde nickte. »So ungefähr. Allerdings ist Dickens noch höher einzuschätzen, denn er war ein Wegbereiter des Humanismus und der sozialen Weiterentwicklung des alten Großbritannien, was letztendlich dazu führte, dass die Dampfmaschine erfunden wurde, das Telefon, die Elektrizität und irgendwann die ersten Raumschiffe.«
»Wenn er so ein Visionär war – warum kennt man ihn dann nicht?«, fragte Mary.
»Bis zur Mitte des einundzwanzigsten Jahrhunderts war das anders. Erst danach wurde er vergessen, denn es gab neue große Dichter, seien es Slltkar gewesen oder Drak’tor, der die ›Rhetorischen Gesänge des Feuerrades‹ schrieb, wobei immer noch unklar ist, wer nun die bei ihm beschriebene Red Lady sein soll.«
Yefimov leerte seinen Humpen und schlug mit der Handfläche auf den Tisch. »Genug doziert! Sonst fangen Sie gleich noch mit Ihrem geliebten Schäksbier an. Wo finden wir Commander Austen?«
Tregarde ließ sich nicht beeindrucken. »Shakespeare, Commander.
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