Sternenfaust - 185 - Das erloschene Reich
damit abfinden, dass sie Nier erwählt hat?«
»Nicht sie hat ihn erwählt – er soll ihr befohlen werden. Aber das werde ich zu verhindern wissen. Beim Wettstreit werde ich Nier in den Schatten stellen. Wenn ich einen Heros erringe und er nur einen ganz normalen Eponen, wie du ihn dir für mich wünschst, wird es für Ventor möglich sein, sein gegebenes Versprechen zurückzuziehen – und mich zu akzeptieren!«
»Wie kannst du dir so etwas nur vormachen?« Cana wirkte tief bestürzt.
»Erlaube es mir!« , gab er sein Drängen nicht auf.
Sie wandte sich ab, eine einzige Verweigerung.
»Dann«, murmelte Taro enttäuscht und wütend in einem, »muss es eben ohne deinen Segen gehen, Mater. Es tut mir leid, aber es ist mein Leben!«
*
Der Weg aus dem Cluster war für Taro ein Spießrutenlauf, wie er ihn noch niemals zuvor erlebt hatte. Er hatte das Gefühl, über tausend Fallstricke zu laufen und nur durch ein Wunder nicht wirklich hinzustürzen und sich die gerechte Strafe dafür zu holen, dass er das Vertrauen seiner Mater mit Füßen trat.
Sein eigenmächtiges Handeln stürzte ihn in eine emotionale Krise, die durchaus vergleichbar war mit dem Schmerz, den ihm Jinu zugefügt hatte, als sie ihm von der Wahl ihres und Niers Vadas erzählt hatte.
Trotzdem blieb er nicht stehen und kehrte nicht um.
Er hatte entschieden, sein Leben und seine Zukunft selbst in die Hand zu nehmen, so schmerzvoll dies sowohl für ihn als auch für Cana sein würde.
Er wünschte, seine Mater hätte zu ihm gestanden und ihn verstanden. Aber sie war auch nur eine Getriebene, vom Verlust ihres Gemahls geprägt. Er verstand sie – und vielleicht würde eines Tages auch sie ihn verstehen. Er würde alles dafür tun, dass sie ihm verzieh.
Aber erst nachdem er seinen Heros gebändigt und sich den Status errungen hatte, der ihm gestattete, vor den neuen Prinzipal zu treten und um das Wertvollste anzuhalten, was dieser besaß.
Beim bloßen Gedanken an die Tragweite seiner Absichten wurde ihm ganz seltsam zumute.
Endlich erreichte er den Tempel, wo sich die anderen schon eingefunden hatten.
Darunter auch Nier.
»Wie geht es deinem Auge?« , flüsterte er Taro mental zu, sodass die Prana-Priester die Gedanken im lärmenden Mentalstrom der Anwesenden nicht auffangen würden.
»Es dankt dir« , erwiderte Taro auf die gleiche Weise. »Genau wie ich.«
»Du dankst mir – für Schläge?« Nier kicherte verunsichert.
»Für den Ansporn« , korrigierte ihn Taro. »Du hättest mir keinen größeren Gefallen erweisen können als mich zu reizen. Es wird dich dein bisschen Ansehen kosten, das dir allein aufgrund deiner Herkunft, doch sicher nicht aufgrund deiner Leistungen zukommt. Ich werde dich demütigen, wie du noch niemals gedemütigt wurdest. Und dann werde ich dir wegnehmen, was du glaubst, bereits sicher zu besitzen. Ich gehe jetzt zu Eloy, und ich werde ihn bitten, dass er mit den Exerzitoren spricht.«
»Spricht?«, entfuhr es Nier laut. Nier versuchte, den Anschein zu wahren, völlig unbeeindruckt von Taros Auslassungen zu bleiben, aber seine Maske saß schlecht. Die mentalen Worte hatten ihn beeindruckt.
Für Taro hätte es in diesem Moment keinen größeren Lohn geben können.
»Worüber soll der Priester-Lehrer mit ihnen sprechen?«, murmelte Nier. Er kehrte bewusst nicht zur Mentalsprache zurück.
Taro setzte die überheblichste Miene auf, zu der er imstande war.
»Ich will«, sagte er ebenfalls laut, dabei so langsam und deutlich, dass Nier keine Chance hatte, es nicht zu verstehen, »dass ich dir im Wettstreit zugewiesen werde. Du und ich, wir fechten es aus!«
Nier starrte ihn wortlos an. »Fechten wir es aus!«, sagte er schließlich und grinste boshaft.
*
Normalerweise markierte das Initiationsfest den wichtigsten Tag im Jahr für den Cluster Kor’Aron. In anderen Clustern wurde das Fest zu anderen Zeiten begangen, und es war Sitte, dass die Bewohner an diesem Tag unter sich blieben. Besuche aus den Nachbargemeinden waren während des Wettstreits extrem selten. Diese Besinnung auf eigene Stärken und Kompetenz’ sollte die Jungen, die kurz vor der größten Bewährungsprobe ihres bisherigen Lebens standen, dazu bringen, sich ganz auf ihre schwere Aufgabe zu konzentrieren, nur umgeben von den engsten Verwandten und Freunden.
Und natürlich den Prana-Priestern und den Exerzitoren.
Die Prana-Priester führten ein eremitisches Dasein, selbst wenn sie sich mit einem zweiten Priester zusammentaten, um
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