Sternenfaust - 187 - Fanal der blauen Sonne
der Stelle ein. Nautia glaubte, ein ganz leises Schnarchen zu hören, obwohl sie nicht entscheiden konnte, ob es nicht nur tief in ihrem Geist röchelte. Die anderen beiden sprangen auf und tollten auf dem Deckel der Bodenvase herum. Sie sprangen übereinander und kreuz und quer, bis Nautia vom Hinsehen schwindlig wurde.
»Eppe, hier her!«, befahl sie, doch der Epone stapfte mit winzigen Schritten den Deckelrand entlang, anstatt zu ihr zu springen. Mutter hatte ihr gezeigt, dass selbst junge Eponen viel weiter als von Baum zu Baum springen konnten. Aber wenn sie nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, wie sie auf Mutters Kommando auf der einen Seite des Baumhauses verschwunden waren und am anderen Ende in Nautias Zimmer wieder aufgetaucht waren, hätte sie es als Märchen abgetan. Mutter hatte erzählt, dass Eponen sogar jemandem bei ihrem Sprung mitnehmen konnten, aber dafür waren die Kerlchen wohl noch zu klein.
»Oppo!«
Der kleine Epone, den Nautia mühelos an seinem Bäuchlein erkannte, tat so, als wachte er auf und stemmte sich auf seinen kurzen Beinen in die Höhe. Er hob den linken Fuß und balancierte auf dem rechten.
»Nein, Oppo, du sollst herkommen«, sagte Nautia und deutete auf den Boden neben ihren Füßen.
Der Angesprochene kam jedoch nicht zu ihr, sondern wechselte nur das Standbein. Uppu, der beinahe in ihn hineingerannt wäre und ihn von der Vase geschubst hätte, stoppte im letzten Moment. Ein helles Lachen schien in ihrem Hinterkopf zu entstehen.
Der Epone atmete so tief ein, dass sich sein Brustkorb ausdehnte, aber beim Ausatmen verringerte sich dessen Volumen nicht. Immer fester atmete er und wurde dabei mit jedem Atemzug größer, bis er Nautia überragte.
»Hör auf!«, schrie sie. »Du platzt sonst wirklich.«
Der durchsichtige Schemen von Uppu ließ eine Reihe spitzer Zähne in seinem Mund aufblitzen. Mit einem Knall entwich die gesamte angestaute Luft aus seinem Bauch und er schrumpfte wieder auf seine ursprüngliche Größe.
Nautia ging zu den drei Eponen und griff nach Uppu, doch noch ehe sie ihn hochheben konnte, biss sie das Wesen in den Finger.
»Nein!«, rief sie. »Lass los!«
Wenn ich doch nur ein Junge wäre , dachte sie wütend. Die sind aggressiver und ihr Machtgehabe würde den Eponen vielleicht imponieren.
Wie auf Kommando fielen die Eponen übereinander her und bissen sich gegenseitig.
War da schon wieder dieses fiese Lachen in ihrem Hinterkopf?
»Eponen! Eponen!«, schrie sie. »Falsche heuchlerische Tatka-Brut!«
Nautia stürmte aus dem Zimmer auf den Balkon. Der nussige Geruch von Pfeilfischfleisch lag in der Luft. Im Baum nebenan aßen sie gerade zu Abend, aber sie verspürte keinen Hunger.
Tief unter ihr knackte es. Ging da jemand auf dem Erdboden? Sie beugte sich über das Geländer, aber da war niemand.
Etwas stieß an ihren Arm.
»Uppu!« Nautia hob ihn hoch und streichelte ihn am Hals, ehe sie ihn wieder absetzte. Und auch die anderen beiden kleinen Monster waren ihr gefolgt. Sie tanzten wie bei einem Fest zu Ehren des Windgottes auf der Balustrade.
»Mit wem sprichst du?«, kam eine Stimme von der Tür.
In einem Blinzeln waren Eppe, Oppo und Uppu verschwunden.
Nautia wirbelte herum.
Ulesi!
»Was willst du hier?«, fauchte sie ihn an.
Der ach so tapfere Ulesi machte einen Schritt rückwärts.
»Ich …«, begann er zögerlich, aber er fasste sich schnell wieder. »Ich komme von Darua.«
Nautia hob trotzig den Kopf. »Und? Soll ich morgen wieder auf ihre Brut aufpassen?«
»Wovon redest du?«, fragte er.
»Sag mir, was du willst und dann verschwinde!«
»Reg dich ab!«, sagte er. »Darua lässt dir ausrichten, dass morgen eine Rettungsmission in die Wüste startet.«
Nautia musterte ihn.
»Kann ich auch mitkommen?«, fragte sie ihn grob.
Er nickte kleinlaut.
»Sonst noch etwas?«
Ulesi kletterte neben Nautia auf das Geländer und griff nach einem Ast des Nachbarbaumes.
»Ja.« Seine Augen schienen zu leuchten. »Ich werde auch mitkommen.«
Er schwang sich zum nächsten Ast und ließ Nautia, die ihm noch lange nachsah, verdutzt zurück.
*
»Anhalten!«
Der Ruf gellte über die weite, sonnenflirrende Ebene und riss Nautia aus ihren Gedanken.
Fast schon am Horizont stand jemand oben auf dem Kamm einer Düne und winkte mit einem weißen Tuch. Das musste Dyari sein, der Leiter der Rettungsmission.
Nautia raffte die weiten Kleider zusammen. Die vielen Falten behinderten sie beim Gehen, aber die Stoffschichten kühlten und
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