Sternenfaust - 192 - Romanas Entscheidung
festhalten.
Wie sollte sie da auf die andere Straßenseite kommen?
Anjuli blickte sich um. Niemand war mehr auf der Straße zu sehen und außer dem Heulen des Windes war auch nichts zu hören.
Sie schwang sich zurück in den Wagen und befahl ihm, an der nächsten Kreuzung zu wenden.
»Stop!«, sagte sie, als sie die Gestalt auf dem Bürgersteig liegen sah. »Tür öffnen!«
Sie packte ihren Notfallkoffer vom Beifahrersitz. Diesmal setzte sie ihren Fuß vorsichtiger auf die spiegelglatte Fläche. Der eisige Wind biss regelrecht in der Nase.
Und warum war es hier so finster? Die Straßenbeleuchtung war fast vollständig ausgefallen, aber im Koffer befand sich eine Taschenlampe für solche Notfälle.
In deren Licht betrachtete Anjuli die Frau. Immerhin atmete die Verletzte, aber unter dem Hinterkopf der Frau sickerten Blutstropfen hervor, die von einer Wunde stammen mussten, die sie sich beim Sturz zugezogen hatte.
Anjuli holte das mobile MRT aus dem Koffer, um die Schwere der Verletzungen besser beurteilen zu können. Sie zog die Box mit den Empfängerspulen aus dem Kasten mit der Elektronik, bis die Teleskopstangen einrasteten. Das Display erwachte und meldete die Bereitschaft des Geräts, das Anjuli langsam links und rechts am Körper der Frau entlanggleiten ließ.
Zum Glück hatte sie keine Schädelfraktur, sondern nur eine Platzwunde am Hinterkopf, die mit einem Sprühverband bald zu bluten aufhören würde. Die Wirbelsäule wies keine Verletzungen auf; kein einziger der empfindlichen Dornfortsätze im Rückenbereich war beim Aufprall gebrochen. Das Einzige, was die Computerauswertung des MRT ergab, war ein Schädel-Hirn-Trauma, das behandelt werden musste.
Anjuli bückte sich über die bewusstlose Frau und presste den Mittelfinger der Fremden auf die Nadel des Diagnosegeräts.
Sekunden später lagen die Ergebnisse vor, die ihre Anfangsdiagnose bestätigten. Die Konzentration der S-100B-Proteine im Blut entsprach einem leichten Schädel-Hirn-Trauma, das vom Anprall des Gehirns am Schädelknochen stammte, aber das war auch schon alles.
Die Frau hatte eine gehörige Portion Glück gehabt.
*
Romana Hel’gara erwachte.
Erinnerungsfetzen tanzten in ihrem Kopf. Armlange Glassplitter, abrasierte Palmen, seltsam knisternde Zweige, und Dunkelheit. Allumfassende Dunkelheit.
Sie bemühte sich, sich daran zu erinnern, was passiert war, doch das einzige Ergebnis, das sie erntete, war ein dumpfes Stechen im Kopf.
Sie betastete mit den Fingern ihren Hinterkopf, wo der Schmerz am stärksten war.
Eine fingerlange Wunde spannte über ihren Hinterkopf, mit aufgewölbten Wundrändern, aber sie blutete nicht mehr. Dafür spürte sie etwas anderes, etwas, das sich ein wenig klebrig anfühlte und doch trocken. Es war eine Art Sprühverband.
Romana Hel’gara überlegte, ob sie sich in einen gesunden Körper verwandeln sollte, doch im Moment fehlte ihr dafür die Kraft.
Und da war noch etwas. Sie fror.
Nun erkannte Romana Hel’gara, dass sie sich in einem fremden Bett befand. Und sie war unbekleidet.
Allmählich erkannte Romana Hel’gara mehr von ihrer Umgebung. Wenn sie die Geräte – medizinische Geräte – richtig deutete, befand sie sich wohl in einer Klinik. Zumindest war es das, was diese Zivilisation unter einer Klinik verstand.
Auf der Wand, die ihrem Bett gegenüberlag, liefen Nachrichten auf einer großen Bildschirmwand. Der Ton war abgedreht, aber Romana Hel’gara konnte trotzdem verstehen, worum es in der Sendung ging. Untertitel liefen am rechten Bildschirmrand, die Rea übersetzte.
Der erste Bericht handelte vom Wirbelsturm, der auf seinem Weg quer durch das Stadtzentrum eine Schneise der Zerstörung hinterlassen hatte. Besonders schwer hatte es das Glasdach vor dem Alt-Tanitischen Museum und den Busbahnhof im Zentrum getroffen. Der Sprecherin zufolge war noch ungeklärt, wie er so plötzlich entstehen konnte.
Die übrigen Meldungen handelten von der Stadtflucht der Bewohner, die sich auf dem Land sicherer fühlten, und von Anschlägen auf Einrichtungen der Regierung, die angeblich von Klimaskeptikern verübt worden waren.
Eine Tür, die Romana Hel’gara zuvor nicht bemerkt hatte, öffnete sich, und eine Frau mit roten Haaren und einem weißen Mantel betrat das Zimmer. Irgendwo hatte sie diese Frau schon einmal gesehen, aber sie erinnerte sich nicht, wo. War das eine einheimische Ärztin?
»Endlich bist du wach«, sagte die Frau mit einem Lächeln. »Ich habe schon befürchtet, dass
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