Sternenfaust - 193 - Der stählerne Stern
Aufgeregtheit, ihre Neugierde, Hoffnung aber auch ihre Angst wahr.
»Niemand darf in der nächsten Zeit das Chin’yardhi betreten«, wandte sich Ken’gewa an den wachhabenden Jäger.
»Selbstverständlich, Kuhan’jaali!«, bestätigte der Soldat.
Ken’gewa und Vu’maiti wandten sich um und durchschritten langsam die Vorhalle, welche zu beiden Seiten mit den Standbildern der Vorgänger Ken’gewas im Amt des Kuhan’jaali geschmückt war. Die beiden Priester bewegten sich auf die Stirnseite der Halle zu, in welcher das schattenschwarze, zwanzig Fuß hohe erste Tor des Chin’yardhi eingelassen war. Es bestand aus Jiw’jiwe, dem seltensten und kostbarsten Mineral auf ganz Wen’gulim. Und nicht nur das erste Tor, sondern die gesamte fünffache unterirdische Zwingerburg Chin’yardhi war aus dem kostbaren Mineral gefertigt. Die Vorhalle aus gewöhnlichem Stein war ein späterer Anbau und diente vor allem der Zugangskontrolle.
Wie es die Vorfahren der Tum’waheri vermocht hatten, die riesigen Mengen an Jiw’jiwe zu fördern, um den gewaltigen unterirdischen Bau anzulegen, war bis heute ein Rätsel. Die wahrscheinlichste Erklärung war die, dass der Gott Ak’lothum, als er vor Urzeiten Wen’gulim als sein Exil erkor, selbst Hand angelegt hatte, um sich seine neue Wohnstätte zu bauen.
Vu’maiti und Ken’gewa verharrten vor dem dunkel aufragenden Flügeltor.
»Ich hatte eigentlich nicht vorgehabt, Ak’lothum vor der Ankunft Ten’brikums noch einmal aufzusuchen«, sagte Ken’gewa leise.
Vu’maiti nickte. Ihr war die Gefahr ebenso bewusst wie dem Oberpriester. Ten’brikum befand sich auf der Reise und war nicht mehr allzu weit von den Himmeln Wen’gulims entfernt.
»Umso mehr ehre ich Euren Entschluss, Kuhan’jaali«, entgegnete die Priesterin und blickte Ken’gewa an. Dessen hellblaue Gesichtshaut war von einer Vielzahl dunkelblauer, knotiger Wülste besetzt – ein Zeichen seines hohen Alters.
»Die Prophezeiung erfüllt sich – das Wagnis ist es wert«, fügte sie ebenso leise hinzu.
Ken’gewa hob das Kinn leicht an und schloss die Augen. Vu’maiti wusste, welche Anstrengung Ken’gewa jetzt auf sich zu nehmen hatte. Die notwendige mentale Energie, mit welcher der geheime Mechanismus des Tores in Bewegung gesetzt werden konnte, war derart gewaltig, dass nur ein Kuhan’jaali dazu in der Lage war.
Das Gesicht des Oberpriesters verhärtete sich. Es wirkte wie aus blauem Stein gehauen. Die dunklen Alterswülste schienen starr und hart wie Granit zu werden. Doch dieser äußere Eindruck von Leblosigkeit täuschte. Vu’maiti spürte die immense Konzentration Ken’gewas, fühlte das Zusammenballen mentaler Energie, als ob der Kuhan’jaali zur Doppelsonne U’moto würde, deren glühende Gaswolken auf sie – Vu’maiti – zutrieben.
Jäh erklang ein knirschendes Geräusch, nur für den Bruchteil einer Sekunde, doch es hallte noch sekundenlang nach. Nur bei genauem Hinsehen war jetzt die vertikale schwarze Linie erkennbar, die das Tor in der Mitte teilte.
Dann setzte das Knirschen erneut ein, riss aber nicht mehr ab. Die beiden schattenschwarzen Flügel des ersten Tores glitten auseinander und verschwanden zu beiden Seiten in der Wand. Ken’gewa atmete hörbar aus, und seine Gesichtszüge entspannten sich.
Vor den beiden Priestern lag ein breiter Gang, der in die Tiefe führte. Zu beiden Seiten des Korridors waren bläulich schimmernde Leuchtelemente eingelassen, die ein dämmriges Licht spendeten. Es waren keine Öllampen, es waren keine Fackeln – es waren, davon war Vu’maiti überzeugt, ewige Lichter, die durch die Kraft Ak’lothums gespeist wurden.
Ken’gewa nickte Vu’maiti zu, und beide Priester betraten den äußeren Zwinger. Der Gang hatte eine Länge von zwanzig Ruten und endete am zweiten Tor, das sich in nichts vom ersten und den weiteren Toren unterschied. Die fünf Zwinger des Chin’yardhi waren nicht mit gewöhnlichen Wehrmauern zu vergleichen, denn sie befanden sich nicht nur unter der Erde, sondern waren auch vollkommen geschlossen. Es handelte sich um konzentrische Kugelschalen, in deren gemeinsamem Zentrum das Heiligtum Ak’lothums lag. Nur die besonderen Eigenschaften des Jiw’jiwe, aus dem die Kugelschalen bestanden, vermochte es, Ak’lothum vor dem ungeheuerlichen Spürsinn Ten’brikums zu schützen. Vu’maiti hatte es selbst erlebt, wie sie im Herzen Chin’yardhis keinerlei Kontakt zu ihren Landsleuten mehr aufnehmen konnte. Die Geistsprache der
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