Sternenfeuer: Gefährliche Lügen
heraus.
Waverly schluckte ein Schluchzen hinunter. Sie musste weg. Sie musste ihn berühren.
Sie zwang sich, die Schultern aufzunehmen, spürte die scharfen Kanten der Knochen durch die Haut und roch seinen offenen Mund, aus dem es nach Tod stank. Mit all ihrer Kraft schob und drückte und hebelte sie ihn fort und bugsierte ihn schließlich aus der Tür hinaus.
»Nein! O Gott, Shelby!«, rief Mather durch einen Spalt im Schott.
Der Mann, den ich getötet habe, war Shelby. Das war sein Name,
dachte Waverly, während sie den Knopf zum Shuttle-Hangar drückte. Die Fahrstuhltüren schlossen sich, und Anne Mather und Shelby verschwanden, als hätte es sie nie gegeben.
Waverly zitterte. Der Mann, den sie gerade noch berührt hatte, war tot. Sie hatte einen Toten berührt – und er war ihretwegen gestorben. Sie hatte ihn umgebracht.
Sie stützte sich an der Wand ab und übergab sich in die Ecke des Fahrstuhls. Ein saurer Geruch erfüllte die Luft, aber sobald ihr Magen leer war und sie sich aufgerichtet hatte, stellte sie fest, dass sie nichts fühlte. Keinen Schmerz, dass sie ihre Mutter hatte zurücklassen müssen. Keine Trauer, dass Samantha – die wunderbare, starke Samantha – getötet worden war. Kein Schmerz in ihrem immer noch blutenden Arm. Kein Bedauern mehr, dass sie einen Mann getötet hatte. Nichts. Sie fühlte nichts.
Während der Fahrstuhl sich durch die Decks bewegte, hörte sie lauter und leiser werdendes Gewehrfeuer. Die Gewalt hatte das ganze Schiff ergriffen. Sie sank an der Rückwand des Fahrstuhls in sich zusammen und betete still.
Als sich die Fahrstuhltüren öffneten, humpelte Waverly so schnell wie möglich den Gang hinunter, hielt nicht einmal an den Ecken an, um herumzuspähen, und flüsterte »Bitte, bitte, bitte« bei jedem Schritt.
Sie kam um die Ecke in den Shuttle-Hangar, raste durch das geöffnete Schott und kam schlitternd zum Stehen.
Dutzende Frauen hatten sich hier versammelt. Sie hatten die Mädchen.
Waverly hob die Waffe, zielte und rief: »Lasst sie los!«
Sie würde sie töten, wenn sie müsste. Sie wusste jetzt, dass sie es fertigbrachte.
Ein paar Frauen richteten sich auf und starrten sie ausdruckslos an, andere luden Proviantkisten und große Wasserbehälter in den Frachtraum. Die kleinen Mädchen küssten Hände, umarmten Beine und tröpfelten dann in das Shuttle, während die Leute ihnen zuwinkten. Waverly kroch auf das Shuttle zu, die Waffe im Anschlag.
»Du brauchst die Waffe nicht«, sagte jemand.
Es war die kleine, rotgesichtige Frau, die ihr während des Gottesdiensts gedankt hatte. Sie hob die Hand. »Waverly, wir wollten auf Wiedersehen sagen, während die Männer die Wachen beschäftigen. Und wir haben euch Nahrung und Wasser besorgt, genug für ein paar Monate. Ihr seid vielleicht eine Weile da draußen.«
Während sie das sagte, wurden die Frauen mit dem Verladen des Proviants fertig und stellten sich neben die Rampe.
»Wir wünschten, ihr würdet bleiben«, fügte die Frau hinzu. »Was ihr da macht, ist gefährlich.«
»Wir gehen«, sagte Waverly.
»Das weiß ich«, antwortete die Frau mit tränenerstickter Stimme. »Friede sei mit euch!«
»Friede sei mit euch!«, wiederholten die anderen.
Waverly machte sich zum Shuttle auf und trat rückwärts die Rampe hinauf, die Augen auf die Menge gerichtet. Sie hatten keine Angst vor ihr, stellte sie fest – sie hatten Angst
um
sie.
»Haltet sie auf!«, kreischte Anne Mather, die nun den Hangar erreicht hatte und mit ihren acht Bewaffneten vorrückte. »Waverly, du wirst das niemals überleben!«
Im Shuttle schlug Waverly auf den Kontrollknopf, um die Rampe zu schließen.
Sie ging ins Cockpit und beobachtete durch die Fenster, wie im Hangar das Chaos ausbrach. Ein großer Mann schoss auf die Wachen, die vereinzelt, wenn sie es wagten, zurückschossen. Mather schrie noch immer, das Gesicht vor Wut violett angelaufen. Das Haar hing ihr in die Augen; der bestickte Mantel lag schief auf den Schultern. Sie hatte komplett die Fassung verloren und glich nun eher einem Tier als einem Menschen.
Waverly warf die Maschinen an und richtete die Augen auf die Luftschleuse. Sie hatte entsetzliche Angst. Schließlich drückte sie den Knopf auf der Schaltfläche vor sich, auf dem
Luftschleuse
stand. Aber die Schleuse öffnete sich nicht. Auf dem Monitor vor ihr blinkte die Anweisung CODE - EINGABE ZUM ÖFFNEN .
Code? Sie hatte keinen Code!
Da sah sie, wie jemand im Hangar auf die Luftschleusensteuerung
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