Sternenfeuer: Gefährliche Lügen
Kanaan gekommen, und wir heißen sie mit freudigem Herzen willkommen.«
Mather deutete an, dass die Crew der
Empyrean
gestorben war, weil sie sündig war. Waverly warf Samantha und Sarah einen Blick zu. Offensichtlich hassten sie das, was Mather sagte, genauso sehr wie sie. Auch in den Augen der anderen Mädchen sah sie vor allem Misstrauen und Zorn, auch wenn ein paar der jüngeren stolz zu sein schienen, dass sie laut Mather von Gott »erwählt« worden waren.
Nach dem Ende des Gottesdiensts blieb Waverly sitzen und lauschte den Gesprächen der Leute um sich herum. Einige Erwachsene lobten Mathers wunderbare Predigt, und sie lobten sie sehr laut. Aber unter diesen Stimmen lagen leisere, murmelnde, die ein Geheimnis zu wahren schienen. Waverly versuchte angestrengt, sich auf diese leiseren Stimmen zu konzentrieren. Irgendetwas an ihnen machte ihr Mut.
Wer weiß, vielleicht vertraute ja nicht jedermann auf der
New Horizon
Anne Mather.
Waverly bemerkte eine Frau, die sie über den Mittelgang hinweg ansah. Es war die Kirchenbeisitzerin mit dem kastanienbraunen Zopf, die beim Gottesdienst aus den alten Schriften vorgetragen hatte. Haut und Augen der Frau waren blass, aber ihre Knochen waren kräftig und gaben ihrem Gesicht einen edlen, klarkonturierten Schnitt. Sie nickte Waverly zu, und als diese das Nicken erwiderte, kam die Frau über den Mittelgang zu ihr herüber und streckte ihre Hand aus.
»Friede sei mit dir«, sagte sie mit einem strahlenden Lächeln. »Nach dem Gottesdienst muss ich immer zur Toilette. Wie ist es mit dir?«
»Was?«, fragte Waverly.
Fast unmerklich hob die Frau eine Augenbraue und entfernte sich dann.
Wollte sie, dass Waverly ihr folgte?
Die Frau lief auf die Backbordseite der Getreidekultur zu und warf unauffällig einen Blick über die Schulter. Als Waverly ihr folgen wollte, vertrat ihr eine Matrone den Weg. Die Frau war einen ganzen Kopf kleiner, aber doppelt so breit wie sie, und ihr Körper wirkte wie ein Panzer. »Wo gehst du hin?«
Waverly straffte die Schultern. »Ich will mich frisch machen.«
»Ich bringe dich hin.« Die Stimme der Matrone klang gereizt.
Waverly folgte ihr durch die Menge und sah in freundlich lächelnde Gesichter. Sie lächelte zurück und nickte, während sie ging, obwohl sie sich unwohl im Zentrum einer solchen Aufmerksamkeit fühlte. Wie konnten die Mädchen und sie entkommen, wenn ihnen so viel Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde?
Waverly hoffte, die Matrone würde sie allein in die Toilette lassen, aber die Frau ging geradewegs mit ihr hinein. Es gab zwei Kabinen, und die Frau mit dem kastanienbraunen Zopf verließ gerade eine davon. Sie hielt die Tür höflich für sie auf, nickte der Matrone zu und ging dann zum Waschbecken, um sich die Hände zu waschen. Waverly war sich sicher, dass die andere ihr etwas mitteilen wollte, aber die Matrone machte eine Unterhaltung unmöglich.
Innerlich zornig und äußerlich ruhig, betrat sie die Toilettenkabine und verschloss die Tür sicher hinter sich, als ihr etwas ins Auge fiel. Ausgebreitet auf dem Wasser im Toilettenbecken schwamm eine auf Toilettenpapier geschriebene Nachricht. Die blaue Tinte begann bereits im Wasser zu verblassen, aber die Worte waren immer noch lesbar:
Du darfst niemandem hiervon erzählen. Nicht einmal deinen Freundinnen. Wenn du mich verrätst, werde ich eingesperrt oder getötet. Diejenigen von uns, die nicht einer Meinung mit Anne Mather sind, haben gelernt zu schweigen. Crewmitglieder der
Empyrean
werden im Steuerbord-Laderaum gefangen gehalten. Ich weiß nicht, wie viele es sind oder wie sie dorthin gekommen sind. Ich weiß nicht, was Pastorin Mather mit ihnen vorhat. Vielleicht sind einige eurer Eltern dabei. Ich war der Meinung, ihr hättet ein Recht darauf, das zu erfahren.
Waverlys Knie wurden weich, und sie musste sich setzen. Sterne tanzten vor ihren Augen. Sie zwang sich, regelmäßig zu atmen, um nicht ohnmächtig zu werden.
Ihre Mutter war vielleicht auf dem Schiff! Wenn sie ihre Mutter finden konnte, wenn sie zu ihr und den anderen Eltern gelangen konnte …
Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle; sie versuchte es zu ersticken, presste die Hand auf den Mund und weinte und lachte gleichzeitig. Sie konnte sich nicht beherrschen.
»Alles in Ordnung da drinnen?« Die Matrone klopfte an die Tür.
»Es tut mir leid«, sagte Waverly. »Es geht mir nicht gut.« Schnell stand sie auf und spülte. Die Nachricht drehte sich im Wasser, färbte es blau und verschwand
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